Amish Country . . . und die Wäsche trocknet im Wind

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Lohnt sich eigentlich diese ganze Fahrerei, die langen Strecken, die wir in der letzten Woche unserer Reise durch den Nordosten der USA zurücklegen? Niagara Falls und Amish Country sind die finalen Fixpunkte, bevor es dann ein paar Tage durch New York City flanieren heißt. Die Falls liegen hinter uns, ja, das hat sich gelohnt ist die einhellige Meinung in unserem Gefährt, das nun mit einem porösen und leckenden Frischwasserschlauch aufwartet. Es gibt halt nichts, was an unserem Camper an funktionalen Dingen wirklich funktioniert. Nach nunmehr 3000 gefahrenen Kilometern hoffen wir allerdings, dass dieser Road Bear uns noch irgendwie zurück zu Miss Piggy bringt, wo wir dann diese abenteuerliche Vehikel abgeben. Aber sicherlich nicht vergessen werden.

Amish Country, Pennsylvania. Lancaster. Wieder müssen wir nahezu 400 Meilen fahren, bergauf, bergab, leere Autobahnen, weite Wälder, große Seen und Flüsse zu beiden Seiten des Asphaltbandes, um das Ziel zu erreichen. Leo ist wieder super. No problems hinten im Wagen. In der letzten Woche hat er längst seinen Stammplatz in der Führerkabine abgetreten und vergnügt sich mit Hörspielen und Büchern. Einen 254 Seiten starken Comic hat der junge Mann auf der Fahrt ganz gelesen, lässig, locker, ohne Stress. Zwischendurch gibt es geschnittenen Apfel, Sandwiches oder auch ein Eis. Die seit Tagen anhaltende gute Laune des Jüngsten an Bord ist bemerkenswert. Und entspannt.

Die Rückkehr nach Pennsylvania, ins Amish Land, ist mit Erinnerungen verbunden, mit einzelnen Begegnungen. 1994 war das. Die zwischenzeitlichen Businesstrips nach Philadelphia und Pittsburgh verstärkten das Gefühl, in diesem Bundesstaat so etwas wie deutsche Tugenden wiederzuentdecken. Pennsylvania ist deutschgeprägt, eine große deutsche Gemeinde hat sich hier vor mehr als 300 Jahren niedergelassen. Die ersten Amish siedelten bereits 1683, Mennoniten aus Krefeld gründeten Germantown. Glaubensbrüder aus der Pfalz, aus dem Elsaß und der Schweiz folgten in den nächsten Jahrhunderten. Heute lebt die größte Gemeinde der fundamentalistischen Amish People in Lancaster County, wo wir für zwei Tage und Nächte Station machen.

Einem Jungen wie Leo, der mit Handy, iPad, mit Apps, aber auch mit Büchern aufwächst, für den Autofahren und Fliegen Selbstverständlichkeiten sind, ist es zunächst einmal nicht leicht, die Lebensweisen und Ansichten der Amish nahezubringen. Wir zeigen es ihm so gut es geht, ohne die Privatsphäre der Menschen zu verletzen; steigen aus, gehen durch die Dörfer, erklären Kleidung und Fortbewegungsmittel. Strohhut und Hosenträger sind bei Jungen und Männern Pflicht, Mädchen und Frauen tragen lange Kleider und Hauben – die Stoffe sind schwarz, dunkelrot, braun, nur gedeckte Farben.

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Leo entdeckt auf einem der traditionell in weiß getünchten Bauernhäuser, wie ein Junge, kaum älter als er selbst, mit Mühe den Kutschwagen aus der Scheune schiebt. „Schau mal, der Junge muss arbeiten“, sagt er. So ist das hier bei den Amish alter Ordnung, wie es genau heißt, jeder hat seine Aufgabe, Kinder, Frauen, Männer. Sehr hierarchisch strukturiert soll das Ganze sein, sagt die Literatur. Männer tragen lange Bärte und fahren dann mit ihren grauen Kutschen im Einspänner am Morgen los (Leo: „die Pferde traben“), um Geschäfte zu machen. Frauen besorgen das Geschäft im Haus, bewegen sich außerhalb mit bereiften Rollern fort. Das war vor gut 20 Jahren noch anders. Damals rumpelten Fahrzeuge auf geschmiedeten oder hölzernen Rädern durch die Gegend, Gummibereifung passte nicht zur traditionellen Lebensweise. Frauen und Kinder gingen zu Fuß.

Auch bei den Traditionalisten ist vieles von der ursprünglichen Lebensweise aufgeweicht. Selbst hier in Lancaster County, wo noch ein Drittel der Amish People lebt, bedienen die Bauern sich technischer Hilfsmittel bei der landwirtschaftlichen Produktion. Hohe Silos überragen die Höfe, Ventilatoren kühlen das Vieh in den Ställen – ohne Strom geht auch in diesem Landstrich nichts mehr. Nur mit selbstgemachten Bienenwachskerzen kommen diese friedvollen Fundamentalisten in der amerikanischen Gesellschaft nicht weit.

Von weitem sieht man es den Betrieben schon an, wem es wie gut geht. Und dann fährt auch gleich ein Touristenbus mit Japanern vor, um im hauseigenen Souvenirshop Handgemachtes zu verscherbeln. Annie´s Kitchen zum Beispiel hat das professionalisiert mit der Produkten hausgemachter Leckereien vom mit Zuckerguss überzogenen Kuchen deutscher Art bis hin zu diversen Geschmacksrichtungen von Mustard. Was die vor mehr als 200 Jahren aus Trier ins nahe Pittsburgh ausgewanderte Familie Heinz kann, schafft Annie auch. Auch ihre Geschmacksverstärker in Gläsern  werden – wenn auch in kleinsten Einheiten – weltweit verzehrt.

Nur eines ist auch auf diesem Vorzeigehof wie auf allen anderen: der Chef der Familie steht an der Kasse. Und draußen flattert die Wäsche zum Trocknen im Wind. Die deutsche Firma Miele hat mit ihren Maschinen im Amish Land keine Chancen. Handwäsche ist Trumpf.

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2 Kommentare zu „Amish Country . . . und die Wäsche trocknet im Wind

  1. Die Amish haben mich auf unserer damaligen Tour total fasziniert. Auch wenn sie sich moderat der Zeit anpassen, ist es ja schon beachtlich, wie sie weiter ihren Lebensstil pflegen und sich damit im 21. Jahrhundert behaupten.

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  2. Bei den Amish waren wir noch nicht, aber vor über zehn Jahren in einem Shaker Village in Cambridge/New Hampshire. Wirklich interessant! Die Shaker nennen sich so, weil sie eine Art Schütteltanz pflegen, mit dem sie sich in ihren Gottesdiensten in Ekstase versetzen. Inspiriert durch euren Besuch bei den Amish, hab ich ein bisschen im Internet recherchiert und das Shaker-Dorf ausfindig gemacht. Hatte ich schon fast vergessen. Es ist allerdings heute ein Museum, die letzten Gemeindemitglieder sind in ein Shaker-Village nach Maine gezogen.

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