Wo kein Moose, da immerhin eine Hirschkuh

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Als Trevor pünktlich um sieben am Morgen vor uns steht, gibt es keinen Zweifel. Er ist Ranger, Naturführer, Elchaufspürer oder wie auch immer diese Jungs hier oben im Norden von Maine heißen. Eine ziemlich weite braune Cargohose, darüber ein Kurzarmhemd in militäroliv, das kurzgeschorene schwarze Haar wird von einer braun-oliven Kappe mit US-Fahnen auf der Stirn- und an beiden Seiten bedeckt. Die randlose Brille hängt etwas zu tief auf der Nase, der Hipsterbart ist etwas zu kurz geraten, um als Hipster durchzugehen. Trevor soll uns die nächsten drei Stunden durch die unendlich weiten Wälder rund um den Moosehead Lake geleiten, damit die Mehrzahl von uns Dreien nun auch mal einen Moooose im Leben zu sehen bekommt. Nachdem wir unserem Driver 240 Dollar für diese Tour in die Hand gedrückt haben, startet er seinen 12-Zylinder Ram Pickup mit tiefem Brummen. Und sagt noch ordentlich “danke“.

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Trevor hat Bildung und weiß viel über sein Geschäft, an dem er uns in einem unendlichen Wortschwall teilhaben lässt. An diesem Morgen erfahren wir viel über den Elch an sich. Über seine Nahrungsaufnahme, seinen Verdauungstrakt mit vier Mägen, dass er nahezu blind ist und nur sechs Meter weit sehen, aber eineinhalb Kilometer weiter riechen kann, wie die Hufe sich spreizen, wir lernen Spurenlesen und hören Anekdoten von früheren Touren, als auf einer Lichtung plötzlich 26 Tiere auf die Beobachter warteten, 25 Kühe mit ihren Babys und ein Bulle.

Na, so viele wollen wir ja gar nicht sehen, ein oder zwei dieser gewaltigen Geweihträger reichen schon. An den ersten Lichtungen und Wasserstellen sind wir offenbar zu spät. Plattgetrampeltes Gras weist die frische Spur von zuvor hier äsenden Elchen. Trevor ist gelassen, fährt weiter. Insgesamt steuert er wohl zwischen zehn und 15 Wildwechsel an, um den mächtigen Tieren nahe zu kommen und sie seinen heutigen Gästen zu zeigen. „Hier war vor zehn Minuten einen Kuh mit ihrem Jungen“, erkennt er an Hufabdrücken an einer Stelle und treibt zur Eile, weil er offenbar weiß, wo wir sie jetzt entdecken könnten. An anderer Stelle spricht er von einem „kapitalen Bullen“. Leo stellt seinen Schuh neben den Abdruck des gewaltigen Tieres, der Fuß des Jungen ist kaum größer. Ich fotografiere derweil an diesem Trail schon mal das gelbe Warnschild vor Moose, sicher ist sicher. Der erste Elch ist im Kasten.

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Irgendwann unterwegs frage ich Trevor, ob es hier auch Bären gibt? Sein heftiges Kopfnicken verbunden mit dem Hinweis es seien „Black Bears“ spielt mir in die Karten. Längst habe ich die Fotos aus dem vergangenen Jahr aus Kanada auf dem iPhone herbeigezaubert und zeige ihm Nahaufnahmen von Grizzlys und Black Bears mit ihren Jungen im hohen Norden von Vancouver Island. Trevor ist beeindruckt, die seien ja nur „twenty feet“ entfernt. So Unrecht hat er nicht. Gern erinnern Leo und ich uns an diese wundervolle Viertagestour mit den Wildführern Denis und Kevin von der Grizzly Lodge.

Trevors Erstaunen ist größer als sein Ehrgeiz. Was eben nicht zu sehen ist, ist nicht zu sehen. Tiere in freier Wildbahn kann man nicht hervorzaubern. Die Enttäuschung großer Reisegesellschaften in Afrika, die auf ihren Safaris nicht einen der „big five“ gesehen haben ist überliefert. Wir müssen heute auch auf den Mooooose verzichten, von dem es laut unseres Führers im District 9, in dem wir uns bewegen, 2,5 bis 3 pro Hektar Fläche geben soll. Wir glauben ihm. Ist bestimmt kein Fake. Und doch drängt sich die Frage ganz hinten im Gedächtnis auf, ob man für 240 Dollar nicht den Anspruch auf teilweise Rückerstattung hat. Oder die Leute hier oben im Norden von Maine das Geschäft nicht zusätzlich ankurbeln könnten, wenn sie wie einst in der DDR unter Erich Honecker die begehrten Geweihträger nicht einfach dann aus einem verborgenen Gatter loslassen oder anbinden, wenn die Touristen zum Schnappschuss ansetzen. Der letzte ostdeutsche Tyrann ließ wichtigen Staatsgästen in der Schorfheide stolze Zwölfender zum knallharten Abschuss vor die Flinte treiben. Später, in tattrigen Zeiten, auch sich selbst.

Aber das wollen wir natürlich nicht. Es sind einfach nur Erinnerungen an historische Begebenheiten. Wir lieben die Natur, wie sie ist.

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Leo hat Hunger, wir auch. Das zweite Frühstück nach dem schnellen Bagel am frühen Morgen auf der Hand hilft über das erfolglose Spähen nach DEM Tier der Region hinweg. Im Nachgespräch bei Kaffee, Kakao, Putenbrust-Bagel und Nutella-Brötchen lachen wir noch herzlich über Trevors Abschied. Er lässt es sich nicht nehmen, uns mit ernster Miene und nachhaltig vor Moose auf den Straßen zu warnen, wenn wir am nächsten Tag nach Quebec in Kanada weiterfahren. „Really dangerous“, sagt er. Und fügt hinzu, vielleicht hätten wir dann ja mehr Glück als heute Morgen und würden einen Elch sehen. Ruth erinnert sich sofort an Australien: „Da haben wir auch hundert Kängeruhs gesehen, aber alle tot auf der Autobahn.“ In fünf Wochen Down Under war es uns leider nicht gelungen, auch nur eines in freier Wildbahn zu entdecken.

Hier geben wir erst einmal nicht auf. Am frühen Nachmittag steht eine Wanderung am Ufer des Moosehead Lake im State Park Lily Bay an. Nach fünf Minuten verharren wir und werden ganz still. Eine gewaltige Hirschkuh kreuzt unseren Weg und sucht Schutz im Unterholz. Leo schleicht sich an, „bis auf fünf Meter, sie hat mich direkt angeschaut“ sagt er. Das muss ja ein Blick gewesen sein, wenn Braunauge sich mit Braunauge trifft.

Nach 13.000 Schritten hoch und runter über Baumwurzeln und Gestein, Entdeckungen von diversen Pilzarten in den schillerndsten Farben gibt es erst einmal ein Eis zur Erfrischung. Schön, wenn man alles dabei hat im hauseigenen Gefrierschrank. Aber das war es noch längst nicht. Am Seeufer ist zunächst einmal Sport angesagt: 20 Liegestützen im Sand und dann mit einem krumm gebogenen Holz die ersten Golfschläge. Doch die große Leidenschaft dieser Tage wird auch befriedigt, hier ist mal wieder ein Basketballkorb aufstellt, wie eigentlich an jeder Ecke in diesem Land. Leo hängt noch 40 Minuten Spezialtraining an. Das erste Mal wirft er dreimal nacheinander Körbe, er dribbelt mit dem Ball und wirft dann ab. Hat dieser fußballverrückte Junge etwa einen neuen Sport für sich entdeckt.

Klar ist schon jetzt, dass wir auf unserer letzten Station New York noch in den NBA-Shop reinschauen müssen, der zum Glück gleich um die Ecke unseres Quartiers an der 5th Avenue liegt. Der Geburtstagswunsch ist bereits defniert: ein echter Basketball. Und das Trikot von Dirk Nowitzki darf es dann wohl auch noch sein.

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4 Kommentare zu „Wo kein Moose, da immerhin eine Hirschkuh

  1. Der Moooose verhält sich offenbar wie ein scheues Reh. Schade. Aber eine Wanderung durch die Natur hat ja auch was. Für Euren Führer war es jedenfalls ein Big Deal. Ist ja im Augenblick in den USA angesagt. Übrigens habt Ihr noch ein Jahr Zeit, Dirk Nowitzki spielen zu sehen. Weißt Du vermutlich längst. Aber freut mich, dass Dein Freund noch einmal verlängert hat.

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    1. Natürlich wissen wir, das Deerk verlängert hat. Er ist jetzt Rekordspieler mit 21 Jahren bei den Mavs, keiner war länger bei einem Verein. Und wir haben noch einmal die Chance, ihn in der neuen Saison zu bewundern. Ob es wieder Madison Square Garden wird oder vielleicht dann doch Dallas, werden wir sehen.

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  2. Klar, ein bisschen blöd ist es schon, dass euch kein Moose über den Weg gelaufen ist, aber was soll’s?! Trevor wird es sowieso verschmerzen können, ihr auch. Und seid froh, dass eure Tour euch diesmal an der Ostküste entlang führt und ihr Kalifornien schon absolviert habt. Denn der Yosemite Park ist aktuell gesperrt – wegen Waldbränden. Dann doch lieber keine Elche . . .

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    1. Es ist schon irre mit dem Wetter auf dieser Welt und auf diesem Kontinent. Im vergangenen Jahr waren die Rockys in British Columbia während unserer Zeit dem Feuersturm ausgesetzt. Und in diesem Jahr schüttet es hier im Osten bisweilen wie aus Kübeln. Bisher zum Glück nur nachts. Morgen geht es weiter von Kanada aus zurück in die USA nach Vermont, ins Bernie Sanders Land. Wir melden uns!

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