Miss Piggy und nach vier Tagen die ersten Steaks

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Miss Piggy am Counter wirkt so wie man sich an einem Montagmorgen eine Station Managerin eben NICHT wünscht. Fuseliges seit Monaten offensichtlich ungeschnittenes Haar um ein Gesicht mit wulstigem Dreifachkinn und trüben Schweinsaugen, das die hinter dem Tresen verborgene Fettleibigkeit dieser Person geradezu erahnen lässt. Das also ist die Frau, die mit der aus früheren Jahren bekannten Freundlichkeit, Servicebereitschaft und Professionalität des landläufig besten (und teuersten) Wohnmobilvermieters Road Bear uns unseren Camper aushändigen soll. Von hier, Middletown oder besser gesagt in the middle of nowhere, aus dieser Bretterbude mit anhängendem Parkplatz, schickt Road Bear nun seine Premiumkunden mit den hochwertigen Fahrzeuge raus in Land. Die Station heißt zu allem Überfluss auch noch: Road Bear New York. Eineinhalb Stunden Fahrt liegen von Downtown Manhattan hinter uns. Gut, dass unser Freund Abduljalil uns gefahren hat, für 150 Dollar, dafür mit guter Unterhaltung. Der gebürtige Jemeniter aus der Bronx ist als Fahrer in New York uns ans Herz gewachsen.

Wir sind früh, eine Stunde zu früh, aber bei Miss Piggy liegt schon alles parat. Gut für uns, wie sich später herausstellen soll. Wie üblich hat Road Bear auch in „New York“ eine deutschsprachige Studentin, die uns eine Einweisung in das Fahrzeug gibt, das auf dem Papier neu – 13.100 Meilen – aber bei der Inaugenscheinnahme ziemlich ramponiert wirkt. Da haben manche Vormieter ganze Arbeit geleistet und mit diesem 30 Fuß langen Gefährt – keines war bisher größer – manchen Baum gestreift. Aber innen scheint alles okay, bis auf die Küchenutensilien, die Piggy auf einen riesigen Nudeltopf reduziert hat, Teller, Tassen, Besteck – das Übliche – ist allerdings dabei. Der Einweiserin ist es wichtiger, uns zu erklären wie der riesige Fernseher mit Doppelfunktion zu handhaben ist, so dass von außen und innen geschaut werden kann. Dass wir daran absolut kein Interesse verspüren, lässt das junge Mädchen nahezu erstarren.

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Jetzt aber los. Denken wir. Die erste Strecke nach Niantic am Atlantik, in unserer Planung mit ca. drei Stunden plus x kalkuliert, wirft das Navy mit acht Stunden und fast 400 Meilen aus. Kann doch nicht sein. Das Navy ist falsch programmiert, kein Problem, ein Techniker hilft. Später entdecken wir noch, dass die bei einem solchen Gefährt unerlässliche Rückfahrkamera die Bilder spiegelverkehrt auf den Monitor überträgt, auch das gehört zu den Merkwürdigkeiten dieser besonderen Anmietung. Uns egal. Gibt Schlimmeres.

Los geht´s. 20 Meter gefahren, rechts rum vom Parkplatz auf die Straße. Rumsromsrumsbomm!! Was ist das? Hinter mir ein Scherbenhaufen. Die Einweiserin hat die Schranktür nicht richtig geschlossen, drei große Porzellanteller in Scherben im ganzen Mobilhome verstreut. Handfeger, Kehrblech – Fehlanzeige. Die erste Station ist also Foodtown, ein Supermarkt von der Größe und Sortierung gleichzusetzen mit Edeka Paschmann in Düsseldorf. Unsere Studentin lächelte aber nur und meinte, es sei ein kleiner Lebensmittelladen, „da kriegt man fast nix“. An das BIG Denken, BIG Leben und BIG Aussehen der Amis müssen wir uns erst wieder gewöhnen.

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Nach zwei Stunden Shopping sind Kühl- und Eisschrank bis unters Dach gefüllt. Auch die Grundausstattung des Campers – sonst bei Road Bear Standard – ist nach Einkauf von Pfannen und Töpfen nahezu komplettiert. Endlich machen wir ein paar Kilometer. Bis zum ersten von rund 15 folgenden Staus. Wir fahren die gleiche Strecke zurück – frustrierend. Rechts liegt Manhattan, die ersten Menschen beschließen inzwischen ihren Arbeitstag, um in die umliegenden Wohnorte zu fahren, die bis zu zwei Fahrstunden entfernt draußen liegen. Fünf Millionen fahren jeden Morgen zum Job nach Manhattan rein – und abends wieder raus, weiß Abduljalil. Leo sitzt wie immer vorne auf dem Beifahrersitz, Ruth macht es sich hinter uns gemütlich. Da gibt es für Leo keinen Diskussionsbedarf, wer wo sitzt. Er hat das Gewohnheitsrecht, so sieht er das jedenfalls. Für 140 Meilen brauchen wir im Stop-and-Go-Verkehr fünf Stunden bis zum Ziel. Dafür fährt Leo das erste Mal über die gewaltige eiserne George Washington Bridge – für 42,50 Dollar Gebühr. Wahnsinn! So ganz nebenbei erfährt er etwas über die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika und den ersten Präsidenten. Später dann über die Mayflower und die Anlandung der Engländer in Boston.

Kurz nach halb acht am Abend sind wir endlich am Ziel. Gut, dass es ein KOA Campground ist, da wissen wir was uns erwartet: gute Qualität in der Ausstattung und eine schöne Lage. Zum Glück schließt Leo gleich Freundschaft mit dem Platzverwalter. Während wir langsam die Koffer auspacken, weitere Unzulänglichkeiten an unserem Mobilhome wie eine eingedrückte Kühlschranktür entdecken, wird draußen Feuer gemacht. Unser kleiner Fireman liebt die Lagerfeueratmosphäre am Abend. In Amerika und Kanada gehört das einfach dazu, nur die Steaks haben wir bei unserem Einkauf noch nicht berücksichtigt.

Zwölf Stunden sind wir jetzt on tour. Ruth und ich sind irgendwie ganz schön platt, obwohl das Klagen, Jammern und Stöhnen ja nicht zu ihrem Wesen gehört. Diese Gemütsäußerungen reklamiere ich exklusiv für mich. Irgendwie frage ich mich gerade, wo ist eigentlich der Unterschied zum normalen Arbeitsalltag? Schon drei Tage Ferien – und immer noch kaputt!

Wird schon. Ohne dem Atlantik in Niantic auch nur eine Minute zu gönnen, geht es am nächsten Mittag weiter. Richtung Boston, an Boston vorbei, nach Salem. Winter Island Park. Zunächst läuft es gut auf der Interstate 95 Richtung Norden, doch je mehr wir uns Boston nähern, umso länger und zeitraubender die Staus. Von oben droht Ungemach, dicke schwarze Gewitterwolken begleiten uns und kündigen sintflutartige Regenfälle an. Von unten zerren unzählige Bodenwellen und Schlaglöcher an unserem rappelnden Gefährt. Daran haben wir uns gewöhnt. Rund um ihre Großstädte ist die Verkehrsinfrastruktur in einem erbärmlichen Zustand; zum Teil erinnern Flughäfen, Autobahnen, Rohrleitungssysteme an wirtschaftlich zurückgebliebene osteuropäische Staaten. Wer über diese Straßen mit halbwegs ordentlich ausgestatteten Autos fahren will, der greift lieber zu Modellen aus Übersee, aus Japan, Korea oder eben aus Deutschland – Mercedes, BMW und Porsche. Ohne das wirre Gefasel des US-Präsidenten überhaupt ernst zu nehmen, fragt sich doch man sich doch, hat der vor seiner eigenen Tür nicht viel mehr zu tun, als die Welt jeden Tag mit purem Unsinn zu traktieren?

Dabei schau´n die Amerikaner doch eigentlich nur auf sich selbst. Das Rundherum, die Umwelt, andere Menschen interessiert sie nicht. Selbst Leo nervt es, wenn mal wieder ein Nachbar den ganzen Tag bei einer Außentemperatur von 25 Grad Celsius die Klimaanlage seines Wohnmobils im Format eines Reisebusses laufen lässt. „Was soll das, und dann sind die noch nicht einmal da!“ Stimmt. Unsere Nachbarn – ein Pärchen Mitte 50 – rauschte am Morgen mit einem Roller like Vespa davon und kehrte abends in seinen Eisschrank zurück. Energie kostet ja nix. Weiter wird nicht gedacht. Die 35 Liter Benzin, die unser Mobil auf 100 Meilen frisst, sind hier an der Tagesordnung.

Nun, wir haben aber auch schon die schönen Seiten kennengelernt, haben auf Boston verzichtet („nicht schon wieder Staus und Großstadt“), sind dafür langsam die Küste hochgefahren, New Hamshire über Hampden nach Maine mit wunderbaren Aussichten.  Außerdem sind wir längst gelassen und entspannt – auch der Aufschreiber hier. Hat etwas gedauert, aber Ruth gibt Ruhe und Gelassenheit. Und Leo ist den ganzen Tag in Bewegung und in Aktion. Pause wird nicht gestattet. So wie am ersten Morgen im Winter Island Park. Auf dem Gelände des alten Forts Pickering machen wir gleich nach dem Frühstück eine erste Erkundungstour. Immer am Wasser entlang, der alte Leuchtturm, die vielen weißen Bötchen, die in der Bucht liegen, wir begegnen einem Otter, Feuerwehrleute, die zu Rettungsschwimmern ausgebildet werden, Leo genießt diese Exkursionen über Felsen und durchs Gebüsch. Natürlich mit einem Stock in der Hand und auf der Suche nach Getier – Krebsen –, Steinen oder Muscheln. Und dabei wird immer geredet. Wenn Leo nicht kommuniziert, stimmt was nicht. Zum Glück ist dieser Fall noch nicht eingetreten.

Nachmittags wird das Ganze dann noch am Strand im Wasser vertieft. Meine Warnungen, nicht auf den glitschigen Felsen zu klettern werden schmunzelnd ignoriert: „Das ist nicht gefährlich, das schaffe ich schon!“ Puuh, ich traue Leo ja grundsätzlich viel zu, aber manchmal hätte ich es lieber, dass er nicht so mutig vor allem bei seinen vielfältigen Kletterpartien ist. Auch wenn wir nur Minikrebse entdecken, die sich in Seeschneckenhäuser versteckt haben, gibt´s viel zu sehen. Beispielsweise Amerikaner in Badebekleidung. „Deutsche Frauen mit Figurproblemen sollten mal öfter nach Amerika fahren, dann fühlen sie sich sofort schlank“, ist Ruths Erkenntnis von Begegnungen am Strand. Doch wir wollen nicht lästern. Wir haben ganz viele nette Menschen kennengelernt, sehr zugewandt und freundlich. Aber die meisten leider sehr gut ernährt.

Inzwischen sind wir richtig im Urlaubsmodus. Traumhaft unsere Station am Old Orchard Beach. Der Campground Hid´n Pines bietet Luxus pur. Ruth und Leo sind gerade am Pool, gestern Abend gab es nach vier Tagen die ersten richtigen Steaks vom offenen Feuer, und Leo kickt – mit französischen, amerikanischen Kindern und Jugendlichen oder mit seinem Vater.

Alles gut also? Wenn dieses Mobil mit seinen Macken nicht wäre. Gestern mussten dann mal die Abwassertanks entleert werden. Normalerweise kein Problem. Doch was ist, wenn gerade der Zughebel des Blackwaters klemmt und der Schlauchanschluss defekt ist? Dann dauert es eine halbe Stunde, Fluchen, Schwitzen, vergebliche Anstrengungen – bis dann durch einen genialen Einfall von Ruth die richtige Technik gefunden ist, das Problem zu lösen und den Entsorgungsvorgang zu beenden. Wunderbar. Dazu gab es dann nach fast einer Woche am Abend am Lagerfeuer den ersten Schluck Wein auf dieser Reise. Irgendwie mussten wir uns ja belohnen.

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2 Kommentare zu „Miss Piggy und nach vier Tagen die ersten Steaks

  1. Tja, mit so vielen Abenteuern können wir nicht mithalten. Aber wir kommen gerade zurück von einem spontanen Kurztrip ins wunderbare Bergen. Zwei Tage, wir haben nach viel Geduld sogar noch ein Hotelzimmer in Bergen Binnen erwischt. Herrliches Wetter, keine Wolke, die Nordsee so warm wie das Mittelmeer im Oktober – und ein traumhafter Sonnenuntergang bei leckerem Essen. Was will man mehr?
    Gute Weiterreise und viel Glück mit eurem Camper!

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    1. Wie schön, dass ihr es doch noch nach Bergen geschafft habt. Es ist dort doch auch immer wieder schön, und so nah. Und so erholsam. Die Weite des Strandes erinnert ein ganz wenig an Maine, wo wir gerade eine wundervolle Zeit verbringen. Und an die üblichen Malaissen des Vehikels haben wir uns gewöhnt und akzeptiert. Alles ist gut!

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