Wie kann man eigentlich Mädchen beeindrucken?

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An manchen Tagen auf den Travel-Touren mit dem Sohnemann fühlt man sich in eine andere Welt versetzt. Nun sind wir schon genau zwei Wochen in diesem Land und auf diesem Kontinent, der für Leo so etwas wie seine zweite (Reise)Heimat geworden ist, und dann stellt er am Rande des Swimmingpools im Apple Island Resort auf einem Hügel über dem Lake Champlain in Vermont südlich der Green Mountains eine Frage, die eine ganze Reise auf den Kopf stellen kann: „Wie kann man eigentlich Mädchen beeindrucken?“ Diese Frage aus dem Mund dieses fast Achtjährigen erstaunt doch sehr, da er bisher bei der Gelegenheit mit ziemlich abwehrendem Vokabular über die Mitschülerinnen hergezogen hat, die – offensichtlich frühreif – schon in der zweiten Klasse die Jungs immer knutschen wollen. „Widerlich“ ist eine von Leos Lieblingsvokabeln in diesem Zusammenhang. Nein, mit Mädchen wolle er gar nichts am Hut haben; und heiraten käme für ihn sowieso nicht in Frage. Was für Themen, na gut.

Nun also diese Wende. Endlich platzt es aus ihm raus, warum er beständig und mit großem Ehrgeiz an seinem kleinen Körper arbeitet. Sport geht über alles, aber es muss auch im Zusammenhang mit Muskelaufbau stehen. Liegestützen jeden Tag, sit ups, auf der Stelle laufen, Fußballtrickserei, Torwarttraining, Basketball – Hauptsache Bewegung! Unser Sports- und sonstige Freund Kai, der Leo gern mal auf den Arm nimmt und in der Luft herumwirbelt, gibt ihm da sicherlich die eine oder andere Inspiration. Auch Mutter Gina hat Leo bestimmt Hinweise gegeben, wie man welche Körperteile ausbildet, Bauchmuskeln, Oberarme, Schultern. Für Leo alles wichtig. Ich habe den kleinen Sportler heute darin bestärkt, viele Bahnen zu schwimmen, das würde Arme und Schultern kräftigen. Der Ehrgeiz treibt ihn dann zum ungeliebten Streckenschwimmen.

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Aber jetzt, das ist der Hammer. Nach der Wassersportgeschichte am Pool wird flugs die Sporthose von Bayern München übergestreift, das passende Trikot mit den vier oder fünf Sternen (so genau weiß ich das nicht, will ich auch gar nicht wissen) lässig um die schmalen Hüften geschlungen und sich dann in Positur gestellt. „Ich gehe jetzt mal über den Platz und zeige mich mal“, sagte dieser kleine Kerl und spannt die Muskeln an. Ich muss noch schnell ein Foto machen, sonst glaubt das keiner.

Diese Episode aus dem Kapitel Leo und sein Körperkult ist allerdings nur ein kleiner, aber doch sehr markanter Blick auf unser tägliches Tun. Langweilig oder eintönig ist diese Reise nun wahrlich nicht. Vielleicht ist sie sogar zu vollgepackt mit den diversen Stationen. Obwohl der Rhythmus, zunächst kleinere Etappen einzulegen mit bis zu 150 Meilen Distanz, und jetzt auf die langen Strecken zu gehen ja eigentlich passt. Als Travelprofis kennen Leo und ich es ja nicht anders, für Ruth ist es gewiss noch hin und wieder gewöhnungsbedürftig. Den Schwenk von der gewohnten Cote d´Azur zum Weltreisen kriegt sie aber gut hin, sieht und entdeckt mit Begeisterung.

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Wir sind ein gutes Team! Es wird gelacht, diskutiert, geschimpft und gemault – und gemeinsam entschieden, was zu tun ist. Das war immer wichtig auf unseren Solotouren, so machen wir es auch jetzt. Dass wir zu Beginn Boston ausgelassen haben nach unendlicher Staufahrerei um die großen Metropolen der Ostküste lieber in Winter Island einen Sonnentag verbracht haben, haben wir alle so gewollt. Genauso, dass wir Quebec trotz 14-stündigen Dauerregens (abends, nachts und am Morgen) besuchen. Mir wäre es egal gewesen, Quebec ist schön, aber eben nicht neu. Die beiden Mitreisenden wollen unbedingt hin. Also hin. Und was ist? Aus dem Shuttle-Bus vom Campground draußen vor der Stadt direkt vor dem Schloss Frontenac angekommen fällt kein Tropfen mehr vom Himmel. Den ganzen Tag nicht. Im Gegenteil: am Nachmittag quält die Hitze.

Am frühen Morgen ist es noch angenehm. Die unzähligen roten Busse karren erst zur Mittagszeit ganze Schiffsladungen von Japanern ins vieux village; ihre Kreuzfahrtriesen ankern draußen im Sankt Lorenz Strom. So streifen wir noch ziemlich ungehindert über die Promenade, durchmessen die weitläufigen Anlagen der Zitadelle und Leo fordert seine üblichen historischen Erklärungen ein, warum denn hier die Franzosen und auf dem anderen Ende Kanadas die Engländer herrschten? Und wie die Kriege gelaufen sind, wer gegen wen und wann? Welche ein Glück: an der Pforte der Zitadelle erlebt er um 11 Uhr am Morgen die traditionelle Wachablösung des rotbejackten und bärenfellbemützten Wachregiments. Dass unser erster Shuttle-Bus zurück dann nicht erscheint, der nächste erst zweieinhalb Stunden später fährt, bringt uns nicht um, sondern amüsiert. Gibt’s halt noch ein Eis, wird eine zweite Shoppingrunde durch die Läden – und die ganzjährig geöffnete skurille Weihnachtsschmuck-Boutique – in den alten Gemäuern Quebecs gedreht und schließlich von der Parkbank aus Japaner bestaunt.

Am nächsten Morgen geht’s weiter. Zurück in die USA, der Abstecher nach Kanada war uns wichtig, aber wir kommen ja auf jeden Fall noch mal zurück auf dieser Reise. Jetzt aber auf nach Vermont, dem zweitliebsten Staat nach Maine des Aufschreibers. Sanft, grün, und unglaublich nette Menschen. Alles relaxt, viel Wasser, Wälder, Berge. Wir wollen uns erholen, nach Quebec zurück zur Natur, etwas Moosehead. Aber eben Vermont. Zum Glück führt die Strecke bis etwa 40 Meilen vor dem Ziel vorwiegend über kanadische Autobahnen, was für Fahrzeug und Nerven schonend ist angesichts der bisherigen Erfahrungen auf Trumps Rumpelpisten. Ein Programm „Amerika Second“ wäre hier schon eine Verbesserung von 300 Prozent.

Nun also Vermont, Apple Island Resort. Das teuerste Revier, das wir mit unserem 30 Fuß langen Camper bisher angefahren sind, aber auch das schönste und gepflegteste. Mit Blick auf den Lake Champlain und mit angeschlossenem Neun-Loch-Golfplatz, für die, die es brauchen. Wir nicht! Dafür toller Service. Den haben wir auch bitter nötig. Es sind noch keine zwei Stunden vergangen seit wir unser Quartier aufgeschlagen haben, draußen in der Sonne vor dem Gefährt unsern üblichen Nachmittagssnack einnehmen – Ruth Obst, Leo und ich einen saftigen selbstgemachten Hotdog – da schrecken wir wie vom Schlag gerührt hoch. Und sagen nichts. Wir schauen uns an, dann nach oben, nach links, nach rechts. Wieder nach oben. Das Dach ist weg, die Markise. Einfach so. Ein Lüftchen hat sie aus der Verankerung gerissen und auf unser Wohnmobil geschleudert.

„So ein Dreck“, entfährt es mir. Jetzt ist es doch gerade so schön entspannend. Vor allem: Was tun? Wie geht es weiter? Mit unserem Mobil, das uns ja jeden Tag vor neue Aufgaben stellt, weil es mit seinen 14.000 gefahrenen Meilen – also fast neu – in einem erbärmlichen Zustand übergeben worden ist. Unsere Kommunikation mit dem Help Desk von Road Bear in Los Angeles ist hier bisher ausgespart geblieben. Aus gutem Grund: wir machen halt das Beste draus und lassen uns von diesen vielen Desastern  nicht die gute Laune verderben. Aber jetzt reicht es dann doch. Die guten Männer von Apple Island helfen bei der notdürftigen Reparatur und Fixierung der übriggebliebenen Markisenhalterung. Wir hoffen, dass es die nächsten knapp 1000 Meilen bis New York ohne weiteres Malheur weitergeht. Road Bear allerdings hat nun ein drittes Schreiben von uns erhalten, nachdem sie schon wissen, in welch´ katastrophalem Zustand ihre Station New York und Miss Piggy uns ihr Premium Gefährt übergeben hat.

Hier gern zum Nachlesen die aktuelle Mail an den help desk von Road Bear:

Dear Maro,

anbei wie besprochen die Fotos der technischen und sonstigen Defizite unseres Road Bear R-194475, auf die wir nicht hingewiesen worden sind, die für Road Bear völlig unüblich sind und die bei dem Full-Service-Paket, das wir direkt ohne Reisebüro bei Road Bear gebucht haben, und bei einem im Voraus gezahlten Gesamtpreis von 7,687,00 $ einfach nicht sein können und dürfen. Die Frage darf erlaubt sein, wie sehen Fahrzeuge aus, die nicht in der Premiumkategorie gebucht werden? Im besten Fall ist anzunehmen, dass dies nur den Standort New York/Middletown betrifft.

 Die Liste der Schäden, auf die nicht hingewiesen wurde:

a.) Kühlschranktür äußerlich defekt, am ersten Abend bemerkt

b.) keine Spülschüssel, kein Toilettenpapier, kein Küchenpapier, kein Spülmittel, eine völlig verdreckte Pfanne, Kaffeemaschine mit gebrauchtem Filter, dafür müssten wir aber den Gastank auffüllen – das war vor 2 Jahren in SF alles genau anders herum

c.) Spiegel oder irgendetwas anderes fehlt an der Stirnseite des Wagens, nur die Halterungen sind noch vorhanden

d.) Rückwärtsfahrkamera zeigt die Bilder spiegelverkehrt an

e.) die weiße Unterbettdecke steckt voller Wanzen, Beine meiner Frau völlig zerstochen, nach Entfernung der Decke Problem behoben

f.) Die Anschlüsse am Abwasserschlauch sind defekt und nicht zu montieren, durch Improvisation gelingt es, an Dump Stations zu entleeren

g.) Blackwater Tank zeigt permanent 2/3 Füllung an, die Einweiserin sprach von 1/3, dann wäre er aber leer, das komme schon mal vor (kann man das nicht beheben vor der Auslieferung?)

h.) Die hintere Gardine (Fahrerseite) ist defekt und lässt sich nicht fixieren

i.) In der Schublade unter der hinteren Sitzecke fehlt der Boden – also unbrauchbar 

j.) die Markise ist bei einem leichten Windstoß aus der Verankerung gerissen und auf das Dach geschlagen. Alle anderen Nachbarn hatten ihre Markisen draußen, ohne dass sich etwas bewegt hätte. Offenbar ist das nicht zum ersten Mal passiert, denn eine tiefe Beschädigung an der Eingangstür, die wir bei der Übernahme bemerkt hatten, zeugt davon, dass der Schaden ganz offensichtlich von der schon mal herausgerissenen Markise stammt, sieht so aus, dass der Schaden nur notdürftig repariert wurde und wir mit der defekten Markise auf die Reise geschickt wurden. Unverantwortlich!!!  

k.) wir haben die Markise eingerollt und fixiert, sie ist aber für uns nicht mehr brauchbar.

Ich möchte Sie bitten, den gesamten Vorgang schon jetzt der Geschäftsleitung vorzulegen. Eine Vor-Ort-Auseinandersetzung mit der Station Managerin in New York führe ich nicht, die 1000 $ Rücklage für etwaige Schäden erwarte ich umgehend erstattet. Und eine juristische Auseinandersetzung mit öffentlicher Begleitmusik bei TUI und in Social Media wünschen Sie sich sicherlich nicht. 

 Mit freundlichen Grüßen

Karl-Heinz Steinkühler

Die entsprechenden Fotos zu jedem Punkt sind natürlich beigefügt worden.

Doch wie geht es weiter? Wir machen weiter Urlaub, wenngleich nicht alles klappt. Unser Plan, mit einem Motorboot den Tag auf dem See zu verbringen, scheitert eben an der Markisenaktion. Wir konnten am Tag zuvor aus Zeitgründen nicht mehr reservieren und am Samstagmorgen – weekend – sind bereits alle Schiffchen vergeben. „Erst Pech und dann auch kein Glück“ – dieses prägnante, wenn auch hier abgewandelte Zitat des Ruhrgebietsfußballers Wegmann – trifft unsere Situation. Am Sonntag, also an unserem nächsten Weiterreisetag, könnten wir ein Boot haben. Mein Vorschlag, die nächste Station einfach ausfallen zu lassen, zumal eine achtstündige Autofahrt vor uns liegt, und dafür zwei weitere Tage an diesem Ort in Vermont zu relaxen, wird einfach überstimmt. Vor allem Leo besteht darauf, zu den Niagara Falls zu fahren. Bötchenfahren kann er immer noch, meistens auf seinen Trips nach Spanien.

Also geht es gleich los. Noch ein wenig schlafen. Und dann Daumen drücken, dass die Markise hält.

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Wo kein Moose, da immerhin eine Hirschkuh

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Als Trevor pünktlich um sieben am Morgen vor uns steht, gibt es keinen Zweifel. Er ist Ranger, Naturführer, Elchaufspürer oder wie auch immer diese Jungs hier oben im Norden von Maine heißen. Eine ziemlich weite braune Cargohose, darüber ein Kurzarmhemd in militäroliv, das kurzgeschorene schwarze Haar wird von einer braun-oliven Kappe mit US-Fahnen auf der Stirn- und an beiden Seiten bedeckt. Die randlose Brille hängt etwas zu tief auf der Nase, der Hipsterbart ist etwas zu kurz geraten, um als Hipster durchzugehen. Trevor soll uns die nächsten drei Stunden durch die unendlich weiten Wälder rund um den Moosehead Lake geleiten, damit die Mehrzahl von uns Dreien nun auch mal einen Moooose im Leben zu sehen bekommt. Nachdem wir unserem Driver 240 Dollar für diese Tour in die Hand gedrückt haben, startet er seinen 12-Zylinder Ram Pickup mit tiefem Brummen. Und sagt noch ordentlich “danke“.

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Trevor hat Bildung und weiß viel über sein Geschäft, an dem er uns in einem unendlichen Wortschwall teilhaben lässt. An diesem Morgen erfahren wir viel über den Elch an sich. Über seine Nahrungsaufnahme, seinen Verdauungstrakt mit vier Mägen, dass er nahezu blind ist und nur sechs Meter weit sehen, aber eineinhalb Kilometer weiter riechen kann, wie die Hufe sich spreizen, wir lernen Spurenlesen und hören Anekdoten von früheren Touren, als auf einer Lichtung plötzlich 26 Tiere auf die Beobachter warteten, 25 Kühe mit ihren Babys und ein Bulle.

Na, so viele wollen wir ja gar nicht sehen, ein oder zwei dieser gewaltigen Geweihträger reichen schon. An den ersten Lichtungen und Wasserstellen sind wir offenbar zu spät. Plattgetrampeltes Gras weist die frische Spur von zuvor hier äsenden Elchen. Trevor ist gelassen, fährt weiter. Insgesamt steuert er wohl zwischen zehn und 15 Wildwechsel an, um den mächtigen Tieren nahe zu kommen und sie seinen heutigen Gästen zu zeigen. „Hier war vor zehn Minuten einen Kuh mit ihrem Jungen“, erkennt er an Hufabdrücken an einer Stelle und treibt zur Eile, weil er offenbar weiß, wo wir sie jetzt entdecken könnten. An anderer Stelle spricht er von einem „kapitalen Bullen“. Leo stellt seinen Schuh neben den Abdruck des gewaltigen Tieres, der Fuß des Jungen ist kaum größer. Ich fotografiere derweil an diesem Trail schon mal das gelbe Warnschild vor Moose, sicher ist sicher. Der erste Elch ist im Kasten.

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Irgendwann unterwegs frage ich Trevor, ob es hier auch Bären gibt? Sein heftiges Kopfnicken verbunden mit dem Hinweis es seien „Black Bears“ spielt mir in die Karten. Längst habe ich die Fotos aus dem vergangenen Jahr aus Kanada auf dem iPhone herbeigezaubert und zeige ihm Nahaufnahmen von Grizzlys und Black Bears mit ihren Jungen im hohen Norden von Vancouver Island. Trevor ist beeindruckt, die seien ja nur „twenty feet“ entfernt. So Unrecht hat er nicht. Gern erinnern Leo und ich uns an diese wundervolle Viertagestour mit den Wildführern Denis und Kevin von der Grizzly Lodge.

Trevors Erstaunen ist größer als sein Ehrgeiz. Was eben nicht zu sehen ist, ist nicht zu sehen. Tiere in freier Wildbahn kann man nicht hervorzaubern. Die Enttäuschung großer Reisegesellschaften in Afrika, die auf ihren Safaris nicht einen der „big five“ gesehen haben ist überliefert. Wir müssen heute auch auf den Mooooose verzichten, von dem es laut unseres Führers im District 9, in dem wir uns bewegen, 2,5 bis 3 pro Hektar Fläche geben soll. Wir glauben ihm. Ist bestimmt kein Fake. Und doch drängt sich die Frage ganz hinten im Gedächtnis auf, ob man für 240 Dollar nicht den Anspruch auf teilweise Rückerstattung hat. Oder die Leute hier oben im Norden von Maine das Geschäft nicht zusätzlich ankurbeln könnten, wenn sie wie einst in der DDR unter Erich Honecker die begehrten Geweihträger nicht einfach dann aus einem verborgenen Gatter loslassen oder anbinden, wenn die Touristen zum Schnappschuss ansetzen. Der letzte ostdeutsche Tyrann ließ wichtigen Staatsgästen in der Schorfheide stolze Zwölfender zum knallharten Abschuss vor die Flinte treiben. Später, in tattrigen Zeiten, auch sich selbst.

Aber das wollen wir natürlich nicht. Es sind einfach nur Erinnerungen an historische Begebenheiten. Wir lieben die Natur, wie sie ist.

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Leo hat Hunger, wir auch. Das zweite Frühstück nach dem schnellen Bagel am frühen Morgen auf der Hand hilft über das erfolglose Spähen nach DEM Tier der Region hinweg. Im Nachgespräch bei Kaffee, Kakao, Putenbrust-Bagel und Nutella-Brötchen lachen wir noch herzlich über Trevors Abschied. Er lässt es sich nicht nehmen, uns mit ernster Miene und nachhaltig vor Moose auf den Straßen zu warnen, wenn wir am nächsten Tag nach Quebec in Kanada weiterfahren. „Really dangerous“, sagt er. Und fügt hinzu, vielleicht hätten wir dann ja mehr Glück als heute Morgen und würden einen Elch sehen. Ruth erinnert sich sofort an Australien: „Da haben wir auch hundert Kängeruhs gesehen, aber alle tot auf der Autobahn.“ In fünf Wochen Down Under war es uns leider nicht gelungen, auch nur eines in freier Wildbahn zu entdecken.

Hier geben wir erst einmal nicht auf. Am frühen Nachmittag steht eine Wanderung am Ufer des Moosehead Lake im State Park Lily Bay an. Nach fünf Minuten verharren wir und werden ganz still. Eine gewaltige Hirschkuh kreuzt unseren Weg und sucht Schutz im Unterholz. Leo schleicht sich an, „bis auf fünf Meter, sie hat mich direkt angeschaut“ sagt er. Das muss ja ein Blick gewesen sein, wenn Braunauge sich mit Braunauge trifft.

Nach 13.000 Schritten hoch und runter über Baumwurzeln und Gestein, Entdeckungen von diversen Pilzarten in den schillerndsten Farben gibt es erst einmal ein Eis zur Erfrischung. Schön, wenn man alles dabei hat im hauseigenen Gefrierschrank. Aber das war es noch längst nicht. Am Seeufer ist zunächst einmal Sport angesagt: 20 Liegestützen im Sand und dann mit einem krumm gebogenen Holz die ersten Golfschläge. Doch die große Leidenschaft dieser Tage wird auch befriedigt, hier ist mal wieder ein Basketballkorb aufstellt, wie eigentlich an jeder Ecke in diesem Land. Leo hängt noch 40 Minuten Spezialtraining an. Das erste Mal wirft er dreimal nacheinander Körbe, er dribbelt mit dem Ball und wirft dann ab. Hat dieser fußballverrückte Junge etwa einen neuen Sport für sich entdeckt.

Klar ist schon jetzt, dass wir auf unserer letzten Station New York noch in den NBA-Shop reinschauen müssen, der zum Glück gleich um die Ecke unseres Quartiers an der 5th Avenue liegt. Der Geburtstagswunsch ist bereits defniert: ein echter Basketball. Und das Trikot von Dirk Nowitzki darf es dann wohl auch noch sein.

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Wenn Lobster plötzlich einen Namen kriegen

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Regentag. Der erste. Für uns Waschtag, Aufräumtag. Leo ist wie aufgekratzt. Er freut sich total auf Lesen und Hören. „Darf ich heute hören?“ ist seine Frage noch vor dem Nutella-Spiegelei-Frühstück. Nach dem „na klar“ Einverständnis zeigt sein Gesicht ein breites, freudiges Lachen. Gammeltag haben wir das früher genannt. Und so ist das wohl auch für den großen kleinen Jungen. Hoody über den Kopf gezogen, kurze Jeans an, und dann aufs Hochbett über der Fahrerkabine, das Profis Alkhoven nennen. Beats auf die Ohren gesetzt und los geht es mit Hörbüchern wie Momo. Später am Abend erzählt er dann die Geschichte aus Michael Endes großem Kinder-Erwachsenen-Buch detailliert nach.

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Ein guter Tag. Für alle. Die Güsse von oben nehmen wir mit Gelassenheit. Und die zwischenzeitliche regenfreie Zone wird schnell zur kurzen Exkursion ans Meer genutzt. Doch der Blick über die Bucht ist natürlich nebelig und grau. Kein Vergleich zum Abend zuvor, als ein weißer Katamaran über das tiefblaue Wasser kreuzte und die sich senkende Sonne den wolkenfreien Himmel hellblau leuchten ließ. Welch´ ein Unterschied, wie sich Ansichten und Perspektiven durch Licht verändern. Wie Stimmungen und Blickwinkel durch äußere Einflüsse beeinflusst werden.

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24 Stunden Rückblick. Die Ankunft in Camden. Diese wundervolle von vielen unterschätzte kleine Hafenstadt mit den Windjammern am Steg zeigt sich so, wie sie schöner nicht sein kann. Ein abendliches Sonnenlicht, das der 14.000 Einwohner zählenden Gemeinde an der felsigen Küste von Maine mit dem schneeweißen Kirchturm in der Ortsmitte einen goldgelben Farbüberzug spendiert. Die Menschen, die hier leben und jeden, aber auch jeden mit einem „hi“, „hello“ oder einer zum Gruß erhobenen Hand begegnen. Nirgends ist die Freundlichkeit der Amerikaner herzlicher als hier im Norden der Neuengland-Staaten; hier wo vor Jahrhunderten deutsche Aussiedler anlandeten und den Städten Namen ihrer Herkunft gaben wie Bremen oder Brunswick (Braunschweig).

Seit dem ersten Besuch in diesem Landstrich – 1994 – zählt Maine mit seinen nur 1,3 Millionen Einwohnern zu den Lieblingsstaaten des Aufschreibers. Die vielfältige Natur, die weite Landschaft, die zugewandten Menschen – vieles lässt sich nicht beschreiben, sondern einfach nur genießen. Bisher war dieses Gefühl stets mit Reisen in den Indian Summer, in den Monaten September und Oktober, mit den unbeschreiblich fantastischen Farbenspielen der herbstlichen Ahornwälder verbunden. Jetzt, in der Wärme des nordamerikanischen Sommers, lässt es sich hier auch ganz gut reisen.

Old Orchard Beach. Dieser elf Kilometer lange, weiße Sandstrand an der Atlantikküste ist nicht wiederzuerkennen. Vor gut 400 Jahren entdeckte einst der britische Eroberer Martin Pring diesen einmaligen Landstrich und lotse seine Landsleute über den großen Ozean hierher. Noch heute fühlt sich der Besucher im Oktober wie ein Entdecker und Eroberer der Einsamkeit – allein mit den tosenden Wellen, den anlandenden Krebsen und den großartigen Muschelschalen. Doch jetzt im Juli, high season, ist vieles anders, bewegter. Jeder Quadratmeter rund um den Pier ist belegt mit Klappstühlen, Sonnenschirmen und tausenden erholungssuchenden Touristen. Alles Amerikaner. Deutsche sind uns bis zum heutigen Tag noch keine begegnet. Nicht in einer Woche, ungewöhnlich. Ob es an Trump liegt?

 

Leo ist zunächst zurückhaltend. Er ist das Mittelmeer gewöhnt, sanfte Wellen, warmes Wasser. Der junge Mann beobachtet, bevor er sich an die Wasserkante traut. Die Wellen des Atlantiks überschlagen sich an diesem Tag in sanften Höhen von etwa 70 bis 100 Zentimetern. Ein Siebenjähriger von nicht einmal 1,30 Meter Höhe empfindet davor schon einen gehörigen Respekt. Aber Leo ist ja mutig. Und sportlich. Nach ersten vorsichtigen Berührungen des kühlen Atlantikwassers ist er nicht mehr zu stoppen. Mit Schwung stürzt er sich in die sich überschlagenen Wellen, die seinen kleinen Körper vollends mit schäumender Gischt bedecken. Immer wieder und immer wieder. Erst die Verlockung, jetzt noch einmal ein intensives Torwarttraining mit Ballfangen und Hechtparaden einzulegen, überzeugt ihn schließlich, dem Atlantik adé zu sagen.

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Gelbe Torwarthandschuhe und das Trikot von Fortuna-Keeper Michael Rensing sind natürlich im Reisegepäck. Der Ball wandert erstaunlicherweise gerade vom Fuß in die kleinen Hände. Ausdauerndes Üben unter dem Basketballkorb mit unglaublichen Tricks vor und hinter dem Körper und enorm vielen Körben im Rückwärtsüberkopfwurf, permanentem Ballauftippen – „ich habe über 300 geschafft“ – drängen das geliebte Kicken in den Hintergrund. Erinnerungen an unsere erste US-Reise werden wach, als der damals Fünfjährige in San Francisco morgens beim Frühstück eines dreistöckigen Pancakes zum besten gab: „Papa, ich fühle mich so amerikanisch!“ Nun hinterlässt der Sport hierzulande offenbar auch schon seine Spuren.

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Maine ist Lobster Land. Wo anders als hier, wo 1994 die roten von Gourmets in Europa vergötterten und teuer bezahlten Scherentiere aus den Tiefen der Ozeane noch 9,90 Dollar kosteten und wir ihnen den Beinamen amerikanische Bratwurst gaben, wo anders soll man sie essen. 100.000 Hummer wurden im vergangenen Jahr vor der Küste Maines gefangen. Nirgends schmecken sie besser als direkt vor Ort. Frisch gefangen, frisch zubereitet. Das Fleisch ist hauchzart und in zerlassene Butter getunkt einfach, natürlich, köstlich. Aus 9,90 sind inzwischen 24 Dollar geworden. Dieses nur als Randbemerkung.

Auch hier tastet sich der Jüngste der Reisegemeinschaft langsam heran, bevor er das wahre Geschmackserlebnis erfährt. Am ersten Abend wird schon mal vom Klassiker, der Lobster Roll, gekostet. Am zweiten Abend dann – best place of town – im Restaurant Rhumb Line direkt am Hafenbecken, wählt Leo den geliebten Ceasars Salat mit Lobster. „Ein Genuss“, sagt er. Unsere kompletten roten Viecher auf dem Teller findet er sehr interessant, aber das Knacken der Panzer sehr mühsam.

 

Leo hat Freundschaft geschlossen. Zunächst mit dem Chef dieses herrlichen Ortes. Dann mit den Lebewesen, die da draußen im Meer in die unzähligen Fallen geraten und nun auf der Terrasse des Speisenanrichters bei zufließendem Frischwasser in einer weißen Badewanne mit zusammengebundenen Scheren übereinanderherkrabbeln. Leo ist verzückt und lässt die Tiere nicht aus den Augen, nicht vor und schon gar nicht nach dem Mahl. Er darf sie berühren, über den Panzer streicheln so wie er in San Francisco den Rochen über den Rücken gestreichelt hat. Und dann hat er erst einen, dann zwei in der Hand. Er greift in das Becken mit diesen etwa 30 quicklebendigen Raubtieren der Meere und holt sie raus. Einer dieser Lobster muss ihm besonders gefallen und bekommt den Namen „Johnny“. Dass sie später dann irgendwann im Kochtopf landen, ist ihm bewusst. Schnell hat Leo zwei amerikanische Jungen an seiner Seite, die es ihm gleich tun.

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Später, Zuhause, kommt Traurigkeit auf. Ob man „Johnny“ denn nicht mitnehmen könne nach Deutschland, lautet die berechtigte Kinderfrage. Nach einer Exkursion über das Leben und Sterben, die Bedeutung von Nutztieren und Ernährung von Menschen, vom täglichen Kampf der Kreaturen ums Überleben, ist ein weiteres Kapitel Kinderbildung aufgeschlagen. Leo wünscht sich jetzt nur noch, dass in den nächsten Tagen wenige Gäste ins Rhumb Line gehen und sein „Johnny“ noch ein paar Tage in der Badewanne erleben darf.

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Miss Piggy und nach vier Tagen die ersten Steaks

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Miss Piggy am Counter wirkt so wie man sich an einem Montagmorgen eine Station Managerin eben NICHT wünscht. Fuseliges seit Monaten offensichtlich ungeschnittenes Haar um ein Gesicht mit wulstigem Dreifachkinn und trüben Schweinsaugen, das die hinter dem Tresen verborgene Fettleibigkeit dieser Person geradezu erahnen lässt. Das also ist die Frau, die mit der aus früheren Jahren bekannten Freundlichkeit, Servicebereitschaft und Professionalität des landläufig besten (und teuersten) Wohnmobilvermieters Road Bear uns unseren Camper aushändigen soll. Von hier, Middletown oder besser gesagt in the middle of nowhere, aus dieser Bretterbude mit anhängendem Parkplatz, schickt Road Bear nun seine Premiumkunden mit den hochwertigen Fahrzeuge raus in Land. Die Station heißt zu allem Überfluss auch noch: Road Bear New York. Eineinhalb Stunden Fahrt liegen von Downtown Manhattan hinter uns. Gut, dass unser Freund Abduljalil uns gefahren hat, für 150 Dollar, dafür mit guter Unterhaltung. Der gebürtige Jemeniter aus der Bronx ist als Fahrer in New York uns ans Herz gewachsen.

Wir sind früh, eine Stunde zu früh, aber bei Miss Piggy liegt schon alles parat. Gut für uns, wie sich später herausstellen soll. Wie üblich hat Road Bear auch in „New York“ eine deutschsprachige Studentin, die uns eine Einweisung in das Fahrzeug gibt, das auf dem Papier neu – 13.100 Meilen – aber bei der Inaugenscheinnahme ziemlich ramponiert wirkt. Da haben manche Vormieter ganze Arbeit geleistet und mit diesem 30 Fuß langen Gefährt – keines war bisher größer – manchen Baum gestreift. Aber innen scheint alles okay, bis auf die Küchenutensilien, die Piggy auf einen riesigen Nudeltopf reduziert hat, Teller, Tassen, Besteck – das Übliche – ist allerdings dabei. Der Einweiserin ist es wichtiger, uns zu erklären wie der riesige Fernseher mit Doppelfunktion zu handhaben ist, so dass von außen und innen geschaut werden kann. Dass wir daran absolut kein Interesse verspüren, lässt das junge Mädchen nahezu erstarren.

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Jetzt aber los. Denken wir. Die erste Strecke nach Niantic am Atlantik, in unserer Planung mit ca. drei Stunden plus x kalkuliert, wirft das Navy mit acht Stunden und fast 400 Meilen aus. Kann doch nicht sein. Das Navy ist falsch programmiert, kein Problem, ein Techniker hilft. Später entdecken wir noch, dass die bei einem solchen Gefährt unerlässliche Rückfahrkamera die Bilder spiegelverkehrt auf den Monitor überträgt, auch das gehört zu den Merkwürdigkeiten dieser besonderen Anmietung. Uns egal. Gibt Schlimmeres.

Los geht´s. 20 Meter gefahren, rechts rum vom Parkplatz auf die Straße. Rumsromsrumsbomm!! Was ist das? Hinter mir ein Scherbenhaufen. Die Einweiserin hat die Schranktür nicht richtig geschlossen, drei große Porzellanteller in Scherben im ganzen Mobilhome verstreut. Handfeger, Kehrblech – Fehlanzeige. Die erste Station ist also Foodtown, ein Supermarkt von der Größe und Sortierung gleichzusetzen mit Edeka Paschmann in Düsseldorf. Unsere Studentin lächelte aber nur und meinte, es sei ein kleiner Lebensmittelladen, „da kriegt man fast nix“. An das BIG Denken, BIG Leben und BIG Aussehen der Amis müssen wir uns erst wieder gewöhnen.

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Nach zwei Stunden Shopping sind Kühl- und Eisschrank bis unters Dach gefüllt. Auch die Grundausstattung des Campers – sonst bei Road Bear Standard – ist nach Einkauf von Pfannen und Töpfen nahezu komplettiert. Endlich machen wir ein paar Kilometer. Bis zum ersten von rund 15 folgenden Staus. Wir fahren die gleiche Strecke zurück – frustrierend. Rechts liegt Manhattan, die ersten Menschen beschließen inzwischen ihren Arbeitstag, um in die umliegenden Wohnorte zu fahren, die bis zu zwei Fahrstunden entfernt draußen liegen. Fünf Millionen fahren jeden Morgen zum Job nach Manhattan rein – und abends wieder raus, weiß Abduljalil. Leo sitzt wie immer vorne auf dem Beifahrersitz, Ruth macht es sich hinter uns gemütlich. Da gibt es für Leo keinen Diskussionsbedarf, wer wo sitzt. Er hat das Gewohnheitsrecht, so sieht er das jedenfalls. Für 140 Meilen brauchen wir im Stop-and-Go-Verkehr fünf Stunden bis zum Ziel. Dafür fährt Leo das erste Mal über die gewaltige eiserne George Washington Bridge – für 42,50 Dollar Gebühr. Wahnsinn! So ganz nebenbei erfährt er etwas über die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika und den ersten Präsidenten. Später dann über die Mayflower und die Anlandung der Engländer in Boston.

Kurz nach halb acht am Abend sind wir endlich am Ziel. Gut, dass es ein KOA Campground ist, da wissen wir was uns erwartet: gute Qualität in der Ausstattung und eine schöne Lage. Zum Glück schließt Leo gleich Freundschaft mit dem Platzverwalter. Während wir langsam die Koffer auspacken, weitere Unzulänglichkeiten an unserem Mobilhome wie eine eingedrückte Kühlschranktür entdecken, wird draußen Feuer gemacht. Unser kleiner Fireman liebt die Lagerfeueratmosphäre am Abend. In Amerika und Kanada gehört das einfach dazu, nur die Steaks haben wir bei unserem Einkauf noch nicht berücksichtigt.

Zwölf Stunden sind wir jetzt on tour. Ruth und ich sind irgendwie ganz schön platt, obwohl das Klagen, Jammern und Stöhnen ja nicht zu ihrem Wesen gehört. Diese Gemütsäußerungen reklamiere ich exklusiv für mich. Irgendwie frage ich mich gerade, wo ist eigentlich der Unterschied zum normalen Arbeitsalltag? Schon drei Tage Ferien – und immer noch kaputt!

Wird schon. Ohne dem Atlantik in Niantic auch nur eine Minute zu gönnen, geht es am nächsten Mittag weiter. Richtung Boston, an Boston vorbei, nach Salem. Winter Island Park. Zunächst läuft es gut auf der Interstate 95 Richtung Norden, doch je mehr wir uns Boston nähern, umso länger und zeitraubender die Staus. Von oben droht Ungemach, dicke schwarze Gewitterwolken begleiten uns und kündigen sintflutartige Regenfälle an. Von unten zerren unzählige Bodenwellen und Schlaglöcher an unserem rappelnden Gefährt. Daran haben wir uns gewöhnt. Rund um ihre Großstädte ist die Verkehrsinfrastruktur in einem erbärmlichen Zustand; zum Teil erinnern Flughäfen, Autobahnen, Rohrleitungssysteme an wirtschaftlich zurückgebliebene osteuropäische Staaten. Wer über diese Straßen mit halbwegs ordentlich ausgestatteten Autos fahren will, der greift lieber zu Modellen aus Übersee, aus Japan, Korea oder eben aus Deutschland – Mercedes, BMW und Porsche. Ohne das wirre Gefasel des US-Präsidenten überhaupt ernst zu nehmen, fragt sich doch man sich doch, hat der vor seiner eigenen Tür nicht viel mehr zu tun, als die Welt jeden Tag mit purem Unsinn zu traktieren?

Dabei schau´n die Amerikaner doch eigentlich nur auf sich selbst. Das Rundherum, die Umwelt, andere Menschen interessiert sie nicht. Selbst Leo nervt es, wenn mal wieder ein Nachbar den ganzen Tag bei einer Außentemperatur von 25 Grad Celsius die Klimaanlage seines Wohnmobils im Format eines Reisebusses laufen lässt. „Was soll das, und dann sind die noch nicht einmal da!“ Stimmt. Unsere Nachbarn – ein Pärchen Mitte 50 – rauschte am Morgen mit einem Roller like Vespa davon und kehrte abends in seinen Eisschrank zurück. Energie kostet ja nix. Weiter wird nicht gedacht. Die 35 Liter Benzin, die unser Mobil auf 100 Meilen frisst, sind hier an der Tagesordnung.

Nun, wir haben aber auch schon die schönen Seiten kennengelernt, haben auf Boston verzichtet („nicht schon wieder Staus und Großstadt“), sind dafür langsam die Küste hochgefahren, New Hamshire über Hampden nach Maine mit wunderbaren Aussichten.  Außerdem sind wir längst gelassen und entspannt – auch der Aufschreiber hier. Hat etwas gedauert, aber Ruth gibt Ruhe und Gelassenheit. Und Leo ist den ganzen Tag in Bewegung und in Aktion. Pause wird nicht gestattet. So wie am ersten Morgen im Winter Island Park. Auf dem Gelände des alten Forts Pickering machen wir gleich nach dem Frühstück eine erste Erkundungstour. Immer am Wasser entlang, der alte Leuchtturm, die vielen weißen Bötchen, die in der Bucht liegen, wir begegnen einem Otter, Feuerwehrleute, die zu Rettungsschwimmern ausgebildet werden, Leo genießt diese Exkursionen über Felsen und durchs Gebüsch. Natürlich mit einem Stock in der Hand und auf der Suche nach Getier – Krebsen –, Steinen oder Muscheln. Und dabei wird immer geredet. Wenn Leo nicht kommuniziert, stimmt was nicht. Zum Glück ist dieser Fall noch nicht eingetreten.

Nachmittags wird das Ganze dann noch am Strand im Wasser vertieft. Meine Warnungen, nicht auf den glitschigen Felsen zu klettern werden schmunzelnd ignoriert: „Das ist nicht gefährlich, das schaffe ich schon!“ Puuh, ich traue Leo ja grundsätzlich viel zu, aber manchmal hätte ich es lieber, dass er nicht so mutig vor allem bei seinen vielfältigen Kletterpartien ist. Auch wenn wir nur Minikrebse entdecken, die sich in Seeschneckenhäuser versteckt haben, gibt´s viel zu sehen. Beispielsweise Amerikaner in Badebekleidung. „Deutsche Frauen mit Figurproblemen sollten mal öfter nach Amerika fahren, dann fühlen sie sich sofort schlank“, ist Ruths Erkenntnis von Begegnungen am Strand. Doch wir wollen nicht lästern. Wir haben ganz viele nette Menschen kennengelernt, sehr zugewandt und freundlich. Aber die meisten leider sehr gut ernährt.

Inzwischen sind wir richtig im Urlaubsmodus. Traumhaft unsere Station am Old Orchard Beach. Der Campground Hid´n Pines bietet Luxus pur. Ruth und Leo sind gerade am Pool, gestern Abend gab es nach vier Tagen die ersten richtigen Steaks vom offenen Feuer, und Leo kickt – mit französischen, amerikanischen Kindern und Jugendlichen oder mit seinem Vater.

Alles gut also? Wenn dieses Mobil mit seinen Macken nicht wäre. Gestern mussten dann mal die Abwassertanks entleert werden. Normalerweise kein Problem. Doch was ist, wenn gerade der Zughebel des Blackwaters klemmt und der Schlauchanschluss defekt ist? Dann dauert es eine halbe Stunde, Fluchen, Schwitzen, vergebliche Anstrengungen – bis dann durch einen genialen Einfall von Ruth die richtige Technik gefunden ist, das Problem zu lösen und den Entsorgungsvorgang zu beenden. Wunderbar. Dazu gab es dann nach fast einer Woche am Abend am Lagerfeuer den ersten Schluck Wein auf dieser Reise. Irgendwie mussten wir uns ja belohnen.

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So Mister Trump, nun sei mal friedlich

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Die Ankunft ist fast wie immer. Abgesehen davon, dass wir ein letztes Mal mit der Lufthansa von Düsseldorf aus nach New York fliegen können und demnächst Eurowings diese Flüge getrost ohne uns probieren kann, stellen wir uns wieder geduldig in die Warteschlangen vor Trumps Einreisepolizei. Doch anders als gewöhnlich fertigt uns diesmal ein freundlicher grauhaariger Officer ab, der nicht vergisst zu sagen, dass die kanadische Seite der Niagara-Fälle more beautiful als die amerikanische sei. Das muss man an dieser Position in diesem Glaskasten mit dem blauroten Stempel erst einmal bringen.

Und so geht es weiter. Uber schickt uns den kommunikativsten Driver, den sie in dieser Stadt wohl beschäftigt haben. Abduljalil lebt seit 32 Jahren in New York, in der Bronx, und fährt mit einem schwarzen Mercedes Bus vor, zwei Jahre alt, Neupreis 40.000 Dollar. Uber sei der beste Job seines Lebens sagt er, „300 Dollar Umsatz am Tag, 200 für mich.“ 14 Stunden fährt er, natürlich sieben Tage die Woche. Der Mann ist glücklich, sagt er, so wirkt er auch.

Und dann legt Abduljalil los, ungefragt. Und das muss einfach in Kurzform erzählt werden, vor allem da aus den prognostizierten 37 Minuten vom Airport zum Hotel wegen Straßensperrungen schließlich eine Stunde und 17 Minuten werden. „Deutschland, Soccer, das ist ja furchtbar.“ Er sei ein großer Fan, in den letzten Jahren immer Erster, Zweiter, Dritter. Und jetzt? Er mag es nicht ausdrücken. Dann Trump: „Der ist verrückt, keine Freunde auf der Welt und auch nicht in Amerika, nur Korea!“ Und dann lacht er hämisch. Mit allen im Streit, Nato, Europa, China, Deutschland, England! „Verrückt!“ Im Tunnel unter dem Hudson zeigt er auf die anderen Autos und lacht hämisch: „Nur Autos aus Japan, Korea und Deutschland! Wir kaufen, was gut ist, nicht was Trump will!“

Leo hätte an Abduljalil seine Freude gehabt, aber der junge Mann ist auf halber Strecke tief und fest eingeschlafen. Ich muss diesen fast 1,30 Meter großen Riesen – meinen Sohn – ins Hotel tragen, der Jetlag ist da. Nachmittags um halb fünf Ortszeit sind alle Ideen plötzlich Makulatur, die noch einen ersten Walk durch Midtown und zum Empire State Building vorsahen. So sieht also Leos erster spannender Tag in New York aus! Ruth dagegen, auch zum ersten Mal in dieser wunderbaren Stadt, hält es nicht im Hotelzimmer und macht sich auf zum Times Square, schreibt zwischendurch begeisternde WhattsApps und bringt uns frische Sandwiches mit, die wir dann nachts um drei beim ersten Aufwachen mit Heißhunger vertilgen.

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Danach ist für Leo an Schlaf nicht mehr zu denken und der Sonntagmorgen sieht uns schon ganz früh auf den Beinen und auf der Straße. Der leichte Regen passt zum ersten Programmpunkt, den wir für die beiden Big Apple Novizen ausgemacht haben. Ground Zero und One World Trade Center, mit 541,30 Metern das höchste Gebäude Amerikas. Leo hat zuvor auf YouTube den furchtbaren Terroranschlag auf die Symbole der westlichen Wirtschaftsfreiheit gesehen. Jetzt stehen wir an den mit fließendem Wasser gefüllten Fundamentlöchern der zusammengestürzten Türme, einzelne weiße Rosen stecken in den 3000 Namen der Menschen, die hier ihr Leben gelassen haben. Wir sind früh, nicht allein, aber Stille genug, um nachzudenken, der Rührung Platz zu geben. Memorialtime. Es regnet mal wieder!

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Leo und Ruth statten sich mit Audio-Führern aus, lassen sich im phantastischen Untergrund-Museum vieles gut erklären, Leo beeindruckt die Treppe der Überlebenden, deren Stufen aus dem Nordturm stammen und über die hunderte, tausende den Weg von oben in die Freiheit geschafft haben. Dann das Memorial mit Fotos von allen Opfern an den Wänden. „So viele Feuerwehrleute sind gestorben“, sagte Leo. Sein Führer im Ohr sagt ihm genau wie viele, über 300 sind es gewesen. Die New Yorker Feuerwehr hat am 11. September 2001 Heroisches geleistet, sie wird in dieser großartigen Ausstellung gewürdigt. Mitmenschlichkeit stand über dem Risiko des eigenen Lebens. Die ausgestellten Wracks der von den Trümmern der zusammenbrechenden Türme zerstörten Feuerwehrautos sind dafür ein deutliches Zeichen.

Nach zwei Stunden wollen die Leo und Ruth raus. Nach oben, ins Freie. Keine düsteren Gedanken und Erinnerungen mehr. Der Kontrast ist von den Architekten des Neuen und Alten an diesem historischen Fleck sicherlich so geplant worden. Wir tauchen ab in hellweißes, fröhliches Underground Design, mit schicken Boutiquen, einer weiten Halle, die wir auf dem Weg zum 1WTC durchqueren. Wir legen noch vor dem Fernseher beim WM-Finale einen Stopp ein, aber nur wenige Minuten, Frankreich schießt das 3:1. Entschieden, wir ziehen weiter!

102 Stockwerke geht es hinauf, die Ohren sausen! Brauchen wir zwei Minuten auf die Spitze des größten Hochhauses der USA? Es geht rasend schnell. Wenn die Amerikaner eines können, dann ist es Inszenierung. Und so ist es auch, als die Bühne bereitet ist für das 360 Grad Panorama. Manhattan, New Jersey auf der anderen Seite des Hudson, Brooklyn Bridge, die wunderbare Skiline, Empire State Building, Liberty, Financial District direkt zu Füßen. Es ist einfach schön, hier oben zu sein. Länger als eine Stunde verweilen wir, essen den obligatorischen OWO Hamburger, Pommes und Chicken.

Erster Programmpunkt abgehakt. Früher Nachmittag. Frisch machen im Hotel und schon geht es weiter. Seit Beginn der Reise möchte Leo unbedingt den goldenen Trump Tower sehen. Soll er. Über die 5th Avenue schlendern wir Richtung Central Park. Klar, dass wir unterwegs im neuen Adidas Store nach diversen coolen Schuhen und Trikots suchen; Leo setzt sich zum Abschied auf den Schoß der Bronzestatur von Unternehmensgründer Adi Dassler. Nach einem kurzen Halt in der St. Patricks Cathedral sind wir endlich am Ziel.

Betonbarrikaden und Absperrgitter verschandeln die letzten 100 Meter zum Protzpalast des Präsidenten, an jeder Ecke dieser Prachtstraße schwer bewaffnete Polizei. Dabei ist der doch gar nicht da, sondern legt gerade mal wieder Europa verbal in Schutt und Asche. Leo baut sich vor dem Eingang auf und zeigt, was er von dem obersten Maulhelden der Amerikaner hält: er schiebt den T-Shirt-Ärmel am rechten Arm etwas hoch, ballt die Faust und spannt die Muskeln an. So Mister Trump, nun sei mal friedlich, sonst blüht dir was, soll das wohl heißen. Doch rein will Leo dennoch, in den goldenen Tower. Doch der übertriebene Glanz mit dem Indoor-Wasserfall beeindruckt ihn nur wenig, im Gegenteil er spottet weiter über seinen politischen Lieblingsgegner.

Nun aber in den Central Park, die Schau- und Entspannungsbühne der New Yorker am Sonntagnachmittag. Wie bestellt ist die Sonne da, purer blauer Himmel und 26 Grad. Die neuen Wohntürme rund um die 57th Street, die wie Streichhölzer in den Himmel ragen und einen teuer bezahlten phantastischen Blick über Manhattan und Central Park bieten, dominieren inzwischen vom Park aus die Skyline. In der grünen Lunge New Yorks produzieren sich Freizeitkünstler aller Art, unterhalten mit rhythmischen Bongo-Trommeln, mit Artistik auf Rollschuhen oder tragen ihre Boas spazieren. Leo hat das natürlich sofort entdeckt. Schlangen sind seine Lieblingstiere und es dauert keine zwei Minuten, da hat er eines dieser todbringenden Würgetiere um den Hals hängen. Ich kann es nicht verhindern. Zu allem Überfluss macht es Ruth dem Kleinen gleich. Mir, von Haus aus Schisser, bleibt nicht anderes als aus gesicherter Entfernung die Beweisfotos zu schießen.

Ein paar Kletterpartien über die Felsen im Park später machen wir uns auf den Rückweg. Genug für den ersten richtigen Tag in New York. Müde Glieder, müde Augen, zwölf Stunden New York, 15.224 Schritte. Das reicht. Morgen holen wir uns unseren Camper ab und dann geht es erst einmal drei Wochen durch das Land. Aber wir kommen ja wieder zurück. Es gibt noch so viel zu sehen, zu erleben und zu tun. In dieser wunderbaren Stadt. New York!

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