Möwen stellen keine Fragen

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Manche Dinge glaubt man nicht, wenn man sie nicht selbst erlebt. Da sitzt der Junge auf dem Stuhl, von dem aus Alexander Nouri, Übungsleiter von Europas derzeit erfolgreichstem Fußballteam, jede Woche den Journalisten in den Katakomben des Weser-Stadions Neuigkeiten von Werder Bremen erzählt. Anschließend nimmt er am Spielfeldrand auf der grün gepolsterten Trainerbank Platz, darf den heiligen Rasen streicheln, besucht die Mannschafts- und Schiedsrichterkabine, hatte den besten Blick aus den teuersten VIP-Logen auf das Spielfeld; und hatte zuvor gesehen, wo Mamas Mercedes Cabrio gebaut wurde, erkundete am Tag vorher, was es auf dem Bremer Rathausmarkt zu erkunden gibt, ließ sich Roland, Dom und Stadtmusikanten erklären; flog vor wenigen Minuten noch mit dem Katamaran von Emden über die hohen Wellen nach Borkum – und was macht er jetzt? Er startet durch, am Hoteleingang vorbei, 50 Meter die Strandstraße hoch. Leo will das Meer sehen. Die an diesem Tag sehr stürmische Nordsee.

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Wenige Minuten später steht er vor mir, hält mir sein iPhone entgegen und sagt: Ich hab´ den Sonnenuntergang fotografiert. Will heißen: „Los schnell, die Sachen aufs Zimmer und runter zum Strand.“ Bis die Sonne endgültig im Meer versinkt, haben wir noch eineinhalb Stunden Zeit. Wird gemacht Kleiner. Nur noch gerade wärmere Jacken anziehen, Mütze auf den Kopf. Denn auf Borkum bläst ein ganz schönes Lüftchen. Aber der Himmel ist blau, die Sonne liefert wunderbarste Schattenspiele im Sand mit knallbunten Strandkörben. Ach was ist es schön!

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Nach den zurückliegenden eindrucksvollen und erlebnisreichen Tagen in Bremen und Papenburg tut das richtig gut, mal durchzuatmen in der klaren Luft. Schöner hätte die Ankunft auf dieser völlig zu Unrecht unterschätzten Insel Borkum wohl auch nicht sein können. Zunächst geht es mit der historischen Bimmelbahn vom Anleger in die Dorfmitte, dann wenige Schritte am aus dunkelroten Ziegeln erbauten Leuchtturm vorbei zu unserem vorzüglichen Quartier. Nun der weite, weite Strand vor uns. Das dunkle Wolkenspiel vor der untergehenden Sonne auf der einen, makelloses Blau auf der anderen Seite des Himmels, die Uferpromade mit den weiß gekalkten imposanten Fassaden einstiger Baukunst auf der anderen Seite. Die Augen können sich nicht sattsehen, die Lungen pumpen sich voll mit ozonhaltiger Luft. Und der Junge läuft an der Wasserkante rauf und runter. Er braucht diese Bewegung nach vielen langen Autobahnkilometern in den ersten Tagen.

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Leo sucht Steine, Äste, buddelt im Sand und weiß zu allem eine Geschichte zu erzählen. Dabei vergessen sind natürlich nicht unsere bildungsreichen Tage vor allem in Bremen. Man mag es nicht glauben, dass die kleine Hansestadt am Ende vieler Ranglisten der Republik steht und Schulden angehäuft hat, die nie zurückgezahlt werden können. Dass hier mehr als zehn Prozent der Menschen Arbeit suchen und von Transferleistungen leben, verbirgt sich am bisher sonnigsten Sonntag dieses Jahres dem Besucher aus dem Westen. Auf dem Weg zum Hotel am Weserufer in der Innenstadt haben wir erst einmal Station am Weser-Stadion gemacht. Leo will in jeder Stadt, die wir auf dieser Reise besuchen, das Fußballstadion sehen und fotografieren. Und den Fan-Schal kaufen für seine Fußballwand Zuhause.

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Diese Pflichtaufgabe ist schnell erledigt. Uns zieht es jetzt auf die Schlacht, die Weserpromenade. Viele andere tausend Menschen auch. Auf das Wasser schauen, Eis schlecken oder Bier trinken, die Winterjacken im Schrank lassen – wir mischen uns unter das bunte Treiben der sonnenhungrigen Norddeutschen. Das kommt Leo entgegen, er sucht bei jeder Gelegenheit, an jedem Tisch das Gespräch mit den Fremden. Mit seiner Sprachgewandtheit kann er auch die stursten Menschen in einen Dialog verwickeln, was in den Straßencafes Bremens mal wieder bewiesen wird. Doch zuvor müssen wir noch durch die historischen Gassen streifen, schauen, was die Menschen in dieser alten Handelsmetropole vor 900 und mehr Jahren gebaut haben. Die Zeugen der wirtschaftlichen Blütezeit beeindrucken, besonders die beiden Ritter als Beschützer früherer Herrscher vor der Pforte des alten Rathauses. Alles wird fotografiert. Vom Kleinen – und vom Großen.

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Ebenso wie im Mercedes Werk, wo wir für eine Kinderführung angemeldet sind. Unser Guide, ein Ire, der sein Arbeitsleben in diesem Werk verbracht hat und nun stolz von der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft spricht, vergisst leider, auf die Ursprünge von Mercedes in Bremen hinzuweisen. Gehört aber dazu. Die Marke Borgward ist deutsche Automobilgeschichte und kehrt nun fast 60 Jahre nach der Pleite mit einer kleinen Produktion hierher zurück. Dort wo nun mehr als 400.000 Mercedes Autos gebaut werden („alles nur das Beste“ – der Ire) und in den nächsten Jahren eine weitere Milliarde investiert wird, stand einst die Wiege Borgwards. Leo findet es spannend, zu sehen, wie Autos entstehen, wie hauchdünne Bleche von Robotern zusammengeschweißt werden und später Menschen aus 460 Einzelteilen finale diese Vierräder fertigen. Aber noch mehr interessiert ihn die Historie und die Zukunft der Autos. Ein silbernes Future-Car und ein fast 100 Jahre altes Gefährt in der Empfangshalle interessieren ihn und seinen Fotoapparat doch mehr.

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Als der Ire schließlich fragt, welche Autos wir denn fahren und Leo die Marken nennt, runzelt er die Stirn und schweigt. Das Beste muss nicht immer Mercedes heißen. Nun geht es raus an den Strand. Möwen stellen keine Fragen. Und erwarten auch keine Antworten, die sie nicht hören wollen.

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2 Kommentare zu „Möwen stellen keine Fragen

  1. Leo sieht im Presseraum von Werder so aus, als könne er schon sehr bald in die Fußstapfen von Julian Nagelsmann, Deutschlands jüngsten Bundesligatrainer, treten. Aber das hat ja noch ein bisschen Zeit. Erst mal auf Borkum sich den Wind um die Nase blasen lassen, die Norddeutschen aus der Reserve locken und etwas am Strand für die Fitness tun!

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  2. Tolle Bilder! Das wird wieder eine große Reise für den kleinen großen Leo, wie schön.
    Und Leo: hast Du dem Herrn bei Mercedes nicht erzählt, dass die Mama Mercedes fährt? Und dass Du früher immer gesagt hast, „Mama, wann kaufst Du dir mal ein großes Auto“ (weil dir das Cabriodach immer etwas beengt vorkam:-)))
    Habt tolle Tage!

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