Ich die Warriors, du die Germans!

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Wenn ich zurück denke, so gut drei Jahrzehnte, dann sahen die letzten Abende einer Reise in die Welt meistens anders aus, als dieser. Dass nun nicht jeder Abschied vom Land der augenblicklichen Sehnsüchte in der total angesagten Bar der Stadt des Abflughafens mit unzähligen Gin Tonic enden muss, belegt das aktuelle Beispiel. Anstatt aus der Saigon-Bar im tropischen Nachtwind hoch OBEN im Caravelle Hotel mit feuchten und wehmütigen Augen über die Stadt zu blicken, sitze ich nun am Schreibtisch unserer Suite (kostenloses upgrade) im Diva Hotel von San Francisco, Downtown. Hinter mir hat es sich Leo auf dem Bett mit dem iPad gemütlich gemacht und schaut Robin Hood. Er genießt es, nach Wochen instabiler Internetverbindungen auf unserer Wald- und Wüstentour endlich mal wieder mit seiner digitalen Welt verbunden zu sein. Und wo bleibe ich? Habe mir nach unserem finalen Diner in der Lieblingsstadt aus dem Colibri Bistro UNTEN im Hotel eine Flasche Chardonnay mitgenommen. Ein wenig Spaß darf sein.

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Nun verleiten solche letzten Stunden einer solchen Reise zum Rückblick, zur Reflektion des Erlebten und zur Überhöhung überhaupt eines jeden Erlebnisses. Welch´ berauschende Gespräche habe in solchen Situationen mit meinem jahrzehntelangen Weggefährten schon geführt. Wir waren (und sind) stets davon überzeugt, die wahren Traveler-Füchse zu sein. Keiner kann es besser! Jedes weitere Glas bestärkte uns in dieser unverrückbaren Selbstbespiegelung. Delhi, Bombay, Kalkutta, Saigon, Singapur, Manila, Bangkok, besonders New York. Und immer wieder kommen wir zum gleichen Ergebnis: Männer können am besten miteinander reisen. Auf jeden Fall stressfreier und entspannter. Das haben wir uns bis heute aus alter Bielefelder Zeit bewahrt, mindestens einmal im Jahr.

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Und nun? Kommt eben einer dazu. Leo! Er ist mit dem Traveler-Gen infiziert. Nahezu unglaublich wie sich dieser fast Sechsjährige in fremden Welten bewegt. In San Francisco kennt er in Downtown so ziemlich jeden Straßenzug und zeigt den richtigen Weg. Zum Hotel findet er immer. Ein kurzes „hi“ zum Empfangschef, flugs startet er durch zum Fahrstuhl. Der Kurze will natürlich direkt schon zum bekannten Zimmer. Irgendwann sagt er heute zu mir, jetzt wolle er nach Bali. Dass dieses Ziel auf dem Plan steht – noch für dieses Jahr – weiß Leo. Aber er drückt es auch sehr konkret aus, er will absolut die Welt kennen lernen. Ich habe nichts dagegen!

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Wie sind denn solche Reisen in die Welt von Mann und Männlein? Von Vater und Sohn? Anders als bisher müssen sie natürlich intensiver vorbereitet sein. Ich bin das erste Mal mit so einem Camper unterwegs. Die Erfahrungen dazu – besonders in der ersten Woche – habe ich hinreichend beschrieben. Mein (gewolltes) technisches Unverständnis trägt zu einer bisweiligen Hilflosigkeit bei. Aber Leo gibt mir in solchen Situationen grandiosen Halt. Er ist cool, so heißt das wohl inzwischen, und gelassen. Kann kommen was will: Leo zeigt nie Angst oder Verzagtheit. Dieser kleine Mann ist eine bemerkenswerte Stütze in schwierigen Situationen. Das zeigt ein wenig von unserem Teamgeist, der sich allerdings erst entwickeln muss. Zug um Zug freilich funktionieren wir blind miteinander. Jeder weiß vom anderen, wie er in einer bestimmten Situation reagiert. Ich hatte nicht ansatzweise erwartet, dass wir in den Alltagssituationen so zusammenwachsen und harmonieren könnten. Im Gegenteil: Je näher der Starttermin rückte, um so mehr Respekt hatte ich vor der Aufgabe, der ich mich da stellte.

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Nun ist wirklich nicht alles stressfrei gewesen. Wieso sollte das in vier Wochen permanenten Zusammenseins anders sein, als das partiell Zuhause ist. Leo ist schon ein forderndes Bürschchen, das zuweil einfach extrem weghören kann, wenn man etwas von ihm möchte, das er nun einfach nicht einsieht zu tun. Dass es dann auch schon mal kräftig krawumst, ist doch klar! Und normal. Aber was den Jungen auszeichnet – vielleicht auch uns: wir können extrem gut damit umgehen. „Give me five“, sagt Leo dann und hält mir seine Handflächen entgegen. Sitzen wir gerade im Führerhaus auf einer unserer Transferfahrten, halten wir in solchen Situationen eben Händchen. Wie seit den ersten Wochen nach seiner Geburt. Unser Zusammenhalt. Das hat uns hier im Südwesten der USA auch extrem verbunden und über manche Tagesprobleme hinweggehoben.

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Und wie geht es mir bei dieser Reise? Im Rückblick? Natürlich gut! Ein einfach einmaliges Erlebnis. Die richtige Entscheidung, es zu machen. Was ich mir nicht vorstellen konnte, wie intensiv dieses Reiseprogramm mich fordert. Außer abends nach 10 p.m., also 22 Uhr, wenn Leo dann auch wirklich schnell in unserem Wohnmobil eingeschlafen ist, gibt es in diesen vier Wochen nicht eine einzige freie Minute. Das muss man wissen, wenn man(n) so eine Tour plant. Der Junge fordert mich vom ersten Augenaufschlag mit permanentem Anspruch und vor allem mit unaufhörlichen Frage- und Antwortdiskussionen. Eine Minute ohne eine Silbe von Leo gibt es nicht. Wenn ich dann wirklich einmal nicht sofort antworte, insistiert er ziemlich eindringlich. Zwölf Stunden am Tag sind es immer, manchmal sogar 15. Dann bin ich wirklich platt.

Zwei Mal am Tag Mahlzeiten zubereiten, zwei Mal Abwaschen, Programm, Quartiere auswählen und buchen. Ganz ehrlich: ohne eine hilfsbereite Unterstützung aus der Heimat – dank Internet – funktioniert nicht die kleinste Änderung des ursprünglichen Plans. Zum einen wegen der fehlenden konstanten digitalen Verbindungen, zum anderen wegen des enormen Anspruches des Sohnes. Papa Haushalt, Papa Fahren, Papa Spielen, Papa Dies&Das. Genau so wie es sich anhört, ist es auch. Hin und wieder wirklich belastend, aber die meiste Zeit einfach richtig gut.

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Diese Selbstreflektion gehört absolut zu einer solch besonderen Auszeit von Vater mit Sohn. Mir fehlt in diesen vier Wochen besonders die intellektuelle Auseinandersetzung mit Dingen und Personen, die im normalen Düsseldorfer Alltag mein Leben bestimmen. In den ersten vier Tagen habe ich noch die Süddeutsche digital geladen. Nicht eine Zeile gelesen. Zu erschöpft. Und: nicht mehr interessiert. Das Wichtigste hat Spiegel Online geliefert. Nicht einmal haben wir den Fernseher in Betrieb genommen, obwohl die Satellitenantenne auf dem Dach leicht in Betrieb zu nehmen ist und auf manchen Campgrounds sogar Kabelanschluss zur Verfügung steht. Das Einzige, das mich herausgefordert hat, ist eben dieses Geschreibsel hier. Zu sagen und aufzuschreiben, was war, was ist , was mich beschäftigt. Damit habe ich viele Defizite für mich überbrückt.

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Wer eine solche Tour in dieser Form über eine solche lange Zeit realisiert, dem sollte klar sein, dass er sein persönliches Ich weit zurückstellen muss. Auf jeden Fall, wenn das Kind noch so jung ist wie Leo. Hinzu kommt, dass wir auf unseren 2400 Meilen (4500 km) kaum Deutschsprachige mit gleichaltrigen Kindern getroffen haben, eigentlich nie. Mai/Juni ist die Reisezeit der amerikanischen Rentner in dieser Region. Und wenn doch Amerikaner mit ihren Kids unterwegs waren, dann hatten die – bis auf den letzten Abend – meistens einen ziemlichen Hau! Leo macht das nichts aus: eine großartige Erfahrung ist sein offener Umgang mit Unbekanntem und Fremden. Sein Rezept: ich gehe hin und sage einfach „Hi, I am Leo!“ Was seine Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Sprachen angeht, hat er einen großen Entwicklungssprung gemacht. Und er möchte Zuhause gern weiter Englisch sprechen, „damit ich das noch besser kann“.

Während ich hier vor mich hin schreibe, schaltet der junge Mitreisende nun das iPad aus und „möchte es sich noch etwas gemütlich machen“. Was er denn gerne möchte? „Mein Fußball-Album und meine Bücher!“ Fußballalbum war klar, Mama hat ja Zuhause bei Rewe kräftig weitere Tütchen mit Panini Bildchen eingekauft. Aber der andere Grund: Wir waren heute bei adidas, hier in San Francisco. Die deutschen Sportartikler rüsten nämlich auch den noch aktuellen und am Montagabend hoffentlich auch neuen amerikanischen Basketball-Champion Golden State Warriors aus. Während Papa sich aus der reichhaltigen Kollektion des Teams aus San Francisco den richtigen Dress aussucht, findet Leo das Deutschland-Trikot am Haken – „mit vier Sternen und Weltmeisterpokal. Das trage ich beim Sommerfest der Kita“. Ok, ich die Warriors, du die Germans!

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Lustig ist es ziemlich oft bei uns gewesen. Auch heute. Ist mal wieder ein typischer Karl-Tag. Oder auch Karl & Leo. Als wir mit dem Taxi von unserer Wohnmobil-Abladestation in San Leandro in die Downtown fahren – für Leo das erste Mal über die weitgespannte Bay-Bridge – sehen wir völlig klar auf der rechten Seite der Bay die Golden Gate Bridge. Also klar: Koffer abladen und hin. Im Hotel gibt es den „Geheimtipp“, den Bus Linie 30 zu nehmen. Nach meiner Kenntnis steigt man aber erst in die 38 und dann in die 28. Wir folgen der neuen Empfehlung. Perfekte Entscheidung – mit Hindernissen. San Francisco ist ja nicht nur seit vielen Jahren die Hauptstadt der Apple-Neuigkeiten, die in Palo Alto erfunden werden. In San Francisco regiert man modern, was die gleichgeschlechtlichen Lebensweisen, Partnerschaften und deren kirchlichen Trauungen angeht. Aber auch den Umweltschutz. Busse fahren hier ohne Emissionen – per Oberleitung. Wenn sie denn mal ankommen. Unser jedenfalls nicht. Irgendwann bleibt er mit technischem Schaden stehen, wir dürfen zur nächsten Haltestelle laufen. Wählen aber leider die falsche Straßenseite und landen genau entgegengesetzt am Depot der Caltrain, des Zugsytems. Weitere Details sind unnötig, Leo und ich genießen die Stadtrundfahrt durch bekannte Bezirke – für die 20-Minuten-Strecke benötigen wir mehr als eine Stunde.

Endlich am Ziel. Golden Gate Bridge. Leo möchte sein Weltwunder fotografieren. Was wir sehen, ist der kümmerliche Fuß eines Pylons, dunkelrot schimmert die Farbe. Leo weigert sich einfach, von diesem Konstrukt ein Foto zu machen. „Da sieht man doch nichts drauf, das will ich nicht.“ Der Knabe ist konsequent. Vielleicht sollte er einfach noch einmal hier hin fahren ohne meine Begleitung. Mir ist es in den vergangenen zehn Jahren nicht gelungen, die Bridge aus der Nähe mal ganz zu sehen. Sie war immer im gloom – im Nebel.

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Zeit zu gehen. Die Amis kommen!

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Zeit zu gehen. Die Amerikaner kommen und starten in ihre Sommersaison. Wie viele der 325 Millionen offiziell gezählten Einwohner sich tatsächlich auf den Weg in ihre wundervollen Landstriche machen, soll hier nicht herausgefunden werden. In einer der schönsten Regionen jedenfalls ist an unserem letzten Ausflugs- und Besichtigungstag Stau angesagt. Zu den ohnehin überall omnipräsenten Japanern, Koreanern und indischen Großfamilien gesellen sich nun die Einheimischen. Auch im Clan, nicht unbedingt so vielköpfig wie die Eingereisten vom Subkontinent, dafür in der Masse genauso üppig. Da zählt nicht nur der Körperumfang, sondern vor allem das Volumen der Fahrzeuge, das wiederum noch gewichtiger ist. Kein neues Thema. Aber diese unendliche Schlange von doppelvergaserröhrenden RAM 3500 Pickups und F 450 ist selbst den Rangern im Yosemite Valley zu viel. Mitten in der Woche recken sie die Hände zum Himmel und sind auf der Kreuzung stehend nicht mehr in der Lage, den Verkehr flüssig zu leiten. Alles steht, alle Parkplätze „Full“ – und das in einem der schönsten und wichtigsten Naturreservate der Welt. Verkehrsinfarkt.

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Wir treten die Flucht an. Wasserfälle, Felsenformationen, reißende Gewässer, schneebedeckte Bergketten und grüne Täler gesäumt von nicht enden wollenden Pinienhainen haben wir genügend gesehen, haben Holz gesammelt für das abendliche Feuer und kleine Bäche auf Holzplanken überquert. Wenngleich Leo immer wieder einen neuen Winkel findet, um noch ein besonderes Foto zu machen. Nach ein paar Tricks und Wendungen befreien wir uns aus dem Verkehrschaos und fahren weit raus. Der Junge soll unbedingt diese dicken, hohen Bäume mit dem rothölzernen Stamm sehen. Das gehört einfach dazu in diesem Nationalpark.

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Ich sage ihm, das seien die dicksten Bäume der Welt, ob es stimmt, weiß ich nicht genau. Sie gehören aber zu den stämmigsten, mit Sicherheit. Die Regenwälder in Sumatra oder am Amazonas können – wenn nicht schon abgeholzt – sicherlich mithalten. Um die Sequoia, so heißen die Bäume, zu erreichen, muss man tief ins Tal hinabsteigen und vom Abstellplatz der dicken Karossen mindestens vier bis fünf Meilen laufen. Zu viel für die meisten. Und wenn man einen fragt, der auf dem Weg zurück sich schnaufenden den Berg hochschiebt, wie weit es noch sei, bekommt man eine eindeutige Antwort: „Horrible!“

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Für uns eine Kleinigkeit. Zum Abschluss eines langen Tages im Park sind Auf- und Abstieg für den Kleinen eine Kleinigkeit, und mein zur Zeit untrainierter Körper kennt von früheren sportlichen Anstrengungen solche Strecken offenbar immer noch. Gelohnt hat es sich. Wann hat Leo schon mal einen Baumstamm gesehen, der so riesig ist, dass er lässig durch einen in den Stamm gesägten Tunnel laufen kann? Natürlich noch nie! Und dass diese Bäume jedem Waldbrand wiederstehen, der in dieser trocknen und heißen Gegend nahezu jeden Sommer wütet, ist nun auch etwas sehr Besonderes. Die heiße Zeit beginnt, nächste Woche sind für diesen Fleck 40 Grad Celsius vorhergesagt. Höchste Waldbrandgefahrstufe herrscht schon jetzt. Zeit zu gehen!

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Hört sich so an, als würden wir uns freuen, nach vier Wochen am Samstagnachmittag von San Francisco aus gen Heimat abzuheben. Klar freuen wir uns auf Zuhause, auf Düsseldorf. Aber zunächst freuen wir uns auf San Francisco, auf unser kleines Hotel, auf Geschenke einkaufen, auf Cable Car fahren, auf die Golden Gate Bridge, die Leo unbedingt noch fotografieren möchte.

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Irgendwie fällt es uns schwer, aufzuhören. Uns vom Mobil zu verabschieden, nicht mehr von Ort zu Ort zu reisen und immer wieder etwas Neues zu entdecken. Seit wenigen Stunden ist es nun Realität, bye zu sagen. Unsere Sachen sind wieder in Koffern und Taschen verstaut. Mit nach Deutschland fliegen wird auch Leos haptisches Tagebuch, seine Steine- und Holzsammlung aus vier amerikanischen Wochen. Er weiß zu jedem Fundstücke eine Geschichte, weiß, wo er es gefunden hat und was Besonderes dran ist.  Wenn wir 7SQU360 California morgen Früh frischgeputzt und vollgetankt wieder abgeben, wissen wir aber, dass wir wiederkommen. Leo sagt: „Papa, ich will aber ganz Amerika kennenlernen.“ Die nächsten Ziele sind formuliert. In solchen Sätzen schwingt auch Sentimentalität mit, das Wissen, dass es jetzt erst einmal mit dieser intensiven Zweisamkeit von Vater und Sohn vorbei ist. Anderseits freut er sich schon auf die EM und fragt schon nach, „wann schauen wir zusammen Fußball?“ Dass wir das nun jeden Tag tun können, erleichtert für Fußballfan Leo den Einstieg in den Alltag. Und ich hoffe, ich habe Zeit dafür. Der Terminkalender der nächsten Woche sagt leider etwas anderes.

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Schnell, schneller, Leo!

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Womit beginne ich jetzt eigentlich? Zur Abwechslung mal mit einem Missgeschick? Warum nicht? War doch wirklich längere Zeit ruhig um Karl, Leo und das schöne Mobil. Man könnte meinen, dieses große fremde rollende Ding sei über die lange Zeit nun unser Freund geworden. Irgendwie ist es das auch. Mindestens einmal am Tag behauptet Leo jedenfalls „unser Wohnmobil ist für uns das Beste“. Dann hat er gerade mal wieder staunend vor einem zur Villa ausgebauten Bus gestanden. Preisklasse ab 200.000 Dollar bis 1,5 Millionen. „Mit Marmor am Boden, wie der Louvre“, hat uns ein wissender Nachbar am Bridgeport Lake verraten. Nun steht so ein Teil neben uns, hinten mit Doppelachse. Davor Blondie, die ständig an der Wasserflasche nuckelt, der Geldbeschaffer mit Kappe und Kurzhose, zwei dicke Kinder im Alter von ca. 12 bis 14. Keine Hunde. Silbergrauer Mercedes E-Klasse für die Ausflugsfahrten.

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Aber davon will ich nicht erzählen, sondern von 7SQU360 California. Das zeigt sich nirgendwo besser als beim Hinaufklettern zum Tioga-Pass, mit 9945 feet (3031 Meter) der höchste Punkt unserer Reise. Unser Ford Achtzylinder nimmt jeden Hügel, ob mit Anlauf oder aus dem Stand (nach Foto-Stopps). Oben angekommen, schlüpfen wir hinein in diese immer wieder schöne Wunderwelt der Natur des Yosemite Nationalparks. Der Ranger grüßt und verabschiedet uns auf Deutsch, das Sternenbanner weht im kalten Wind auf Halbmast. Orlando. Leo muss raus, Schneebälle auf den alten Herrn werfen. Der fotografiert lieber See und schneebedeckte Bergkette dahinter. Selfie inklusive, machen die Japaner ja auch. Wir halten an Wasserfällen und genießen den Blick in weite Täler. Als es dann endlich Richtung Oakhurst hinab geht, in unzähligen Serpentinen, rollt 7SQU360 im Pickup-Strom flüssig mit. Ich lenke ihn lässig um jede Kurve, als sei es eines jener Fahrzeuge, die ich bisweilen zügig über Passstraßen der Seealpen zwischen Nizza und Grasse bewege.

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Dann scheppert es gewaltig hinter uns. Wir sind noch mitten in der Kurve, als die Verriegelung einer Schranktür den Fliehkräften in der Neigung nachgibt. Geschirr und Schüsseln breiten sich über den Boden unseres Wohnzimmers aus. Bis ins Fahrerhaus schafft es ein großer weißer Porzellanteller. Er ist ganz geblieben. Den Crashtest hat nur seine kleinere Schwester nicht überstanden. Kein Problem, anhalten, aufsammeln und einräumen. Und dann? Es fehlen drei Teller, wo sind sie? Leo tangiert das alles nicht, er bleibt vorne sitzen und hört Kokosnuss. Als ich ihn – genervt ob seiner Gleichgültigkeit bei diesem Accident – frage, ob er mich mal bei der Suche nach den fehlenden Porzellanobjekten unterstützen könne, bewegt er sich relativ gelangweilt nach hinten, kniet nieder und sagt: „Papa, vielleicht sind sie hier in diesen Spalt gerutscht“. Sind sie. Der Junge ist nicht nur schnell im Denken, sondern hat auch noch die Gabe, sehr pragmatisch zu handeln. Da stehe ich wieder und frage mich: woher hat er das? Auf jeden Fall sind die Teller wieder da. Leo widmet sich wie zuvor iPad und iPhone. Dinge, die neben allem anderen auch in seiner Welt eine Rolle spielen. Er lernt jeden Tag eigenständig mehr und ist immer ganz stolz, wenn er mal wieder was Neues unter einer App entdeckt hat. Vor allem vieles, das ich noch nicht kenne.

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Die frühere Kollegin Astrid Maier hat vor wenigen Tagen eine bemerkenswerte Bilanz ihres Jahres im Silicon Valley veröffentlicht. Auf Spiegel Online, aus der Sicht einer Mutter. Nun muss man die Wirtschaftsreporterin des Manager Magazins kennen, die in vielen deutschen Unternehmen den Ruf einer Diva genießt, die alles schon weiß, bevor sie überhaupt das erste Recherchegespräch führt. Wie es ihr jetzt geht, da sie nach Auslaufen des Sponsorings von SAP und Samsung für ihren Aufenthalt an der Stanford University, Palo Alto verlassen und mit der tristen Redaktionsstube auf der Hamburger Ericusspitze tauschen muss, kann man nachlesen. Die Botschaft: Dort ist alles besser, dort ist mein Platz als Tech-Expertin. Was aber noch schlimmer wiegt: Tochter Malina, 6, die in der von Apple und Google eingekeilten Vorschule fließend Englisch lernte, jetzt Programmierung, Design Thinking und 3-D-Druck beherrscht, droht in einer Hamburger Grundschule die totale Verblödung. Bleibt zu hoffen, dass es wenigstens Pöseldorf und nicht Altona wird.

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Leo und ich sind in Bodie gewesen. Das ist auch ein Valley. Ein goldenes Tal. Gelegen am Fuße des Yosemite Nationalparks. Ein Landstrich, in das einst ebenfalls die Menschen pilgerten, um das große Geld zu machen. Um was anderes geht es auch im Silicon nicht. Oder kann irgendjemand nachvollziehen, warum ein Konzern wie Microsoft 26,2 Milliarden Dollar für ein Internetportal der 100 Millionen Eitelkeiten ausgibt? Natürlich um noch mehr Kohle damit zu machen! Genau deshalb siedelten vor 140 Jahren 8000 Menschen in diesem Bodie-Valley. Gierig nach Gold auf der anderen Seite der Hügelkette der Sierra Nevada waren sie, nachdem ein gewisser W.S. Bodey hier auf eine Ader gestoßen war.

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Die Blütezeit war kurz, dauerte gerade mal fünf bis sechs Jahre. 1881 zogen die ersten schon wieder weiter, bis 1942 wurde in der Schule noch unterrichtet. Der Letzte in Bodie war Joaquim Miller. 1949 schrieb er seine ganze Verzweiflung auf: „Und nun sind alle meine Kameraden fort; sie haben mich hier meinem Elend überlassen, wie einen armen herumirrenden Geist.“

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Wie seine früheren Mitbewohner Miller zurückgelassen haben, kann man heute noch sehen. Fünf Prozent der ehemaligen Häuser stehen in dieser Geisterstadt. Der Blick hinein zeigt einen Aufbruch, als habe man schnell die Koffer packen müssen. Arbeitshosen hängen noch im Bad am Haken, Tassen und Teller stehen bedeckt mit zentimeterdicken Staubschichten auf den Tischen, im Saloon ruhen Bierflaschen der letzten Gäste auf der Theke. Der Bestatter hat Särge in allen Formaten im Schaufenster ausgestellt. Die wenigen Häuser, die Besucher heute betreten können, untersucht Leo genau. Plötzlich zieht er die Schublade einer Anrichte auf. „Ich möchte sehen, ob die alles mitgenommen haben?“ Macht man eigentlich nicht, aber Leo sucht nach Spuren der Vergangenheit, vergangenes Leben interessiert ihn. Ein an einer Hauswand lehnender verrosteter Spaten wird ausprobiert – „ich muss arbeiten“. Und jedes alte auf der Wiese stehengelassene Auto erfährt eine Inspektion des jüngsten Besuchers an diesem Tag. Vor allem das Feuerwehrhaus hat es ihm angetan. „Warum sind die mit einer Pferdekutsche gefahren, die ist doch viel zu langsam?“

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Das Schlendern und Betrachten in Bodie war klasse. Und ermüdend. Auf der Rückfahrt nach Bridgeport ist Leo eingeschlafen. Vieles, was wir machen und sehen, erschöpft den kleinen Mann. Er braucht seine Spielphasen – die kriegt er, die hat er. Auf den langen Fahrten durch diese einmalige Natur kann Leo gar nicht alles aufnehmen. Dann schaltet er öfter ab, während ich verzückt nach draußen blicke. Aber wenn es um Menschen geht, will er alles wissen, was er noch nicht weiß. Die Bleichgesichter, die den Indianern erst das Land, dann die Büffel und zum Schluss das Gold nahmen – die Geschichten kennt er in einzelnen Facetten. Warum die Amerikaner Englisch sprechen, woher die Weißen kamen, warum die USA so groß und mächtig wurden, das haben wir in Bodie und danach bis zum Abendessen besprochen. Geschichten zur Geschichte – ich finde dieses Interesse von Leo grandios.

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Sollen unsere Kinder darauf verzichten und schon in frühester Kindheit zu Tech-Monstern ausgebildet werden, wie jene Frau Maier es wünscht? Weil unser Nachwuchs sonst nicht in der Welt bestehen kann? Eine irrige Annahme. Wer nichts von der Welt weiß, kann nicht in ihr bestehen. Leo jedenfalls macht das eine und kann das andere schon besser als ich. Als seine Handykamera nicht funktioniert, nimmt er sich einfach das iPad und macht Fotos damit. Ohne es mir zu sagen. Später am Abend zeigt er mir die Ergebnisse. Auf meine Frage, wie er das denn gemacht habe, antwortet er wie selbstverständlich: „Das iPad hat doch auch eine Kamera. Die habe ich dann genommen.“ Hatte ich zuvor noch nie gemacht.

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Angus-Burger und Pool mitten in der Wüste

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Diesen Regentag brauchen wir jetzt wirklich. Zuhause sitzen – ja wir sprechen bei unserem mobilen Home jetzt schon wie von der Heimatadresse – und das machen, was in den letzten wirklich herausfordernden Reisetagen zu kurz gekommen ist: entspannen und ausruhen. Und wieder etwas malen (Leo) oder etwas aufschreiben (Karl). Wird auch Zeit, nachdem aus diversen Richtungen schon besorgte Nachfragen eingetroffen sind, ob denn alles in Ordnung sei? Ja, ist es. Auch meinen Mitreisenden irritierte vor zwei Tagen meine Untätigkeit, als ich zur gleichen Zeit wie er schlafen ging: „Papa, du musst doch noch schreiben, damit alle wissen, wie toll es im Death Valley ist.“

Das versuche ich nun nachzuholen. Was soll ich auch anderes tun? In Deutschland säße ich jetzt wahrscheinlich ziemlich lässig vorm Fernseher und schaute Höwedes, Draxler, Özil und Neuer zu. Alles Schalker bei dieser EM. Das Spiel nicht zu sehen, kann ich verkraften. Am Bridgeport Lake ist eine fußballerische Grundversorgung gewährleistet: Zwischenergebnisse aller Spiele, Details über Aufstellung und Torschützen laufen gleich siebenfach von Thomas Z., SpOn, sz.de, Zeit Online, Sport1, kicker.de und Eurosport hier ein. Nur Leo muss ich diese Informationen sehr dosiert nahebringen. „Papa, zur EM sind wir doch wieder Zuhause?“ fragt er immer wieder nach. „Ja Leo, wenn sie richtig los geht, sind wir wieder zurück“, versuche ich das Thema halbwegs elegant zu lösen. Und mich wundert, wie wichtig diesem kleinen Kicker der Fußball ist. Hab´ ich etwa daran mitgewirkt?

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Jetzt aber zur Reise! Zwischenziel Death Valley. Wäre Leo an diesem Morgen vor zwei Tagen nicht besonders früh aufgewacht und auch aufgestanden, ich bin nicht sicher, ob wir den Höllenritt aus dem Herzen der Route 66 (Kingman) ins Death Valley unternommen hätten. Vergiss den Konjunktiv. Leo ist bereit zur großen Tour und so lassen wir Las Vegas einfach rechts liegen und nehmen anstelle des Strip die Ausfahrt Wüste. Siebeneinhalb Stunden auf dem Beifahrersitz sind schon hart für den kleinen Kerl. Die Klimaanlage läuft auf höchsten Touren, er hört alle Kapitel „Der kleine Prinz“ von Saint-Exupéry und noch die Lebensgeschichte von Mozart; macht auch ein zweistündiges Schläfchen.

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So richtig wissen wir beim Start nicht, auf was wir uns einlassen, wo wir übernachten? Und überhaupt! Nach drei Wochen auf Tour sind Vater und Sohn jedoch ein so eingespieltes Team, dass wir uns diese Abenteuerlust leisten. Der Kühlschrank ist gefüllt, genügend Frischwasser und Gas lagern in den Tanks, Trinkwasser im 24er Pack liegt im Kofferraum. „Wasser ist wichtig“, mahnt Leo beim Bunkern der Lebensmittel. Er trinkt viel und hat sich in den zurückliegenden fünf Tagen gut an die trockene Hitze von bis zu 39 Grad gewöhnt.

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Dann geht es los. Starke Winde packen uns, je mehr der karge Wuchs  von verstaubtem Grün in graugelbes, trocknes Wüstengras übergeht. Bizarre Felsen ragen empor, ineinandergeschobene Gesteinsmassive in grau, schwarz, sandgelb und rot bauen sich vor uns auf. Die Augen suchen Fixpunkte. Immer wieder wird der Camper geparkt, um zu sehen und zu fotografieren. Und immer wieder knallt man beim Verlassen des Fahrzeugs gegen eine Wand aus Hitze, Wind und Staub. Death Valley, Totes Tal. Das passt vielleicht auf die Vegetation. Nicht aber auf die Landschaft. Beeindruckend, einfach einmalig. Nie gesehen. Atemraubend. Wir kriegen nicht genug davon. Und Leo entdeckt, was eben nur er von uns beiden so schnell sieht: „Da unten, da war mal ein Fluss“, erklärt er mir und zeigt tief hinunter in die Schlucht, wo tatsächlich vor wie viel tausend Jahren auch immer ein Wasser gewesen sein muss. Zu erkennen ist es sehr deutlich an den Auswaschungen im Stein. Erstaunlich, was er an Wissen aus dem Grand Canyon ins Valley transportiert.

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Kurz darauf schläft Leo mit rotem, erhitztem Kopf erschöpft ein. So bekommt er im Wesentlichen die desaströse Suche nach unserem Übernachtungsquartier nicht mit. Wir setzen auf Infos aus dem Internet und steuern Mesquite Spring an, der beste Campground im Valley, heißt es. Die Oase Furnace Creek wird im Netz völlig verrissen. Deshalb passieren wir lässig diesen grünen und sehr lieblich aussehenden Punkt, um im Nichts zu landen. Kein Mensch da, kein Camper, kein Service. Verlassen in der Einöde. Hier bleiben wir nicht. Also zurück. Wohin? Es ist nach fünf Uhr am Nachmittag, noch zweieinhalb Stunden Tageslicht. Leo wacht auf und ich berichte ihm. Wir verständigen uns darauf, das Valley komplett zu durchkreuzen und dann ein Motel auf der anderen Seite zu suchen. Für diesen einen Abend. Mit richtigem Bett und Dusche. Es könne aber noch zwei Stunden dauern, erkläre ich ihm. Und es könne dunkel werden. Ich erhalte den Freifahrtschein: „Okay, machen wir!“ Leo ist schon ein echter Traveller.

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Und dann plötzlich dies: Rechts eine Tankstelle, hinter der sich ein Gelände mit etwa 100 Stellplätzen für Wohnmobile ausbreitet. Auf den ersten Blick sehe ich, dass alle Strom- und Wasseranschluss haben. Wir zögern. „Sollen wir hier bleiben? Ich frage mal“, schlage ich Leo vor. Auf dem Platz steht zu dieser Zeit genau erst ein RV. Registration gegenüber im Hotel. Ein perfekter Empfang, die pure Freundlichkeit. Außer dem wirklich komfortablen Platz stehen uns Pool, Duschen, Saloon im Hotelbereich kostenfrei zur Verfügung. Die Entscheidung ist gefallen. Schnell schließen wir unser Home an Strom und Wasser an, die Aircon läuft und sorgt dafür, dass wir nachts bei 22 anstatt 35 Grad schlafen können. Dann sofort in den Pool. Inzwischen für Leo ein absolutes Muss nach unserer Ankunft an einem neuen Ort. Wir brauchen Bewegung und Abkühlung.

Im Saloon gibt es nicht nur kühle Getränke, sondern auch Wifi. Ein Argument, das bei Leo zieht, um das erste Mal in diesem Urlaub auswärts Essen zu gehen. Der kleine verwöhnte Feinschmecker besteht bisher auf Home-Cooking – Papa kocht immer. Die Aussicht, den einen oder anderen Film auf dem iPad zu sehen, überzeugt ihn, auswärts zu speisen. Welch´ ein Glück! Denke ich.

Was folgt, ist (fast) der pure Graus. Warum nur müssen diese vier aufgeregten und aufgebrezelten jungen Frauen aus einem unserer hügeligen Nachbarländer ausgerechnet den Tisch neben uns besetzen? Ganze zehn Minuten sind wunderbar; zusammen mit anderen still genießenden Gästen blicken wir aus den großen Fenstern des Saloons im Stovepipe Wells Village auf die fast schwarz wirkende Bergkette und die davor liegenden gelben Sanddünen. Kein Mensch belästigt uns. Wir warten auf unsere Burger vom Black Angus, Leo trinkt Wasser, mein Bier ist das herbste aus dem Angebot von 13 verschiedenen Sorten. Und nun dies. Jede dieser Grazien sucht nach einer roten Kunstkirsche auf dem Boden des getrichterten Glases, die von irgendetwas Alkoholischem bedeckt ist. Eine führt das große Wort, sie könnte glatt als weibliche Arnautovic durchgehen. Die anderen lauschen. Nur eine ihrer Bewunderinnen kommentiert so ziemlich alle 50 Sekunden einsilbig das Gesagte, bevor sie erneut am Glas nippt. Leo – genervt – bemerkt halb erregt: „Dieses Wort darf man doch nur einmal im Jahr sagen.“

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Was die aus der Alpenrepublik Angereisten „geil“ finden, will ich nicht wissen. Jedenfalls nicht die Natur da draußen, die Leo und ich noch vor unserem Festmahl näher betrachten. Sonnenuntergang über dem Death Valley, am Punkt Sea Level. Wir gehen vor die Tür. Unvorstellbar. Wer mehr als 18 Jahre die von Dali gemalten Himmel über der Bucht zwischen Figueres und Cadaques im Original abends von der Dachterrasse aus erlebt hat, der vergisst hier diese zwischen hellstem blau und blutrotorange changierenden Wolkenformationen am Rand der spanischen Pyrenäen. Death Valley ist unbeschreiblich. Einmalig? Sicher nicht. Aber es macht einen so sprachlos. Als wir zurückkehren, suchen die vier Österreicherinnen immer noch nach der Kirsche. Geil!

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Den Sonnenaufgang über dem Death Valley am nächsten Morgen sieht Leo exklusiv. Ich ruhe. Vor uns liegt noch einmal eine gewaltige Strecke. Das halbe Todestal mit Steigungen von 0 auf über 5000 Fuß sind mit unserem Schwergewicht zu bewältigen, Leo sammelt Wüstensand für Zuhause ein, wir halten an einem riesigen Salzsee, fahren zu Tal, bis eine schneebedeckte Bergkette und der am Fuß verlaufende Highway uns den Weg nach Norden weist.

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Geht´s noch? Spinnt die Natur? Ein solcher Kontrast auf 100 Kilometern. Solche Gegensätze auf kleinster Fläche kann nicht einmal das phänomenale Indien bieten. Wir verlassen überwältigt das Death Valley und ich bin mir nicht sicher, ob diese Durchquerung der Wüste und diese Übernachtung mittendrin nicht noch eindrucksvoller als der Grand Canyon inklusive Heli-Überflug war? Aber es geht hier nicht wie in den übrigen Monaten des Jahres um gut, besser, am Besten. Hier ist alles BEST! Das Meiste zumindest, was wir bisher erlebt haben.

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Unseren kuscheligsten, besonders feinen und am nachhaltigsten bewirtschafteten Campground beziehen wir für die nächsten drei Tage direkt am Bridgeport Lake. Auf der anderen Seite liegt der Yosemite Nationalpark mit dem über ihm thronenden schneebedeckten Mt. Whitney. Welch eine Wonne hier zu sein, umgeben von guten Leuten, die einfach Natur lieben und genießen. Wie Leo. Die wöchentlichen Waldtage in der Kita haben dazu beigetragen, dass er so wunderbar mit Wasser, Erde, Holz und Pflanzen umgehen kann. Das Seeufer und dieses weitläufige Gelände laden ihn nach den zwei anstrengenden Autotagen zum Auslaufen in der freien Natur ein. Nur eine halbe Stunde nach unserer Ankunft verwandelt sich der Sitzplatz vor unserem Home zur Sammelstelle für gewaltige Hirschgeweihe (aus Ästen), kräftigen Stöcken und Steinen.

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Dass es heute fast nur geregnet hat, macht ihm nichts aus. Bei uns Zuhause (auf vier Rädern) ist es richtig gemütlich. Und wir können den Temperaturregler auch so einstellen, dass es uns nicht friert und die Heizung anspringt. Ob Wüste oder Berglandschaft – wir haben immer 22 Grad. Die Regenpausen werden natürlich zum Fußballspielen genutzt. Nach einer Woche hitzefrei geht das nun wieder. „Das hier ist mein Wetter“, erklärt Leo, „bei Regen kicke ich am liebsten“! Wenn ich ihm gleich Gute Nacht sage, erzähle ich ihm, dass Deutschland 2:0 gewonnen hat. Und Schweinsteiger ein Tor geschossen hat. Ich hoffe, er kann dann trotz dieser Aufregung schnell einschlafen.

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Zwischen Weltwunder und Feuer machen

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Tage gibt es. So einer davon ist dieser. Hitze von Arizona, 100 Meilen vor Las Vegas. Und große Zweifel, ob uns der Weg tatsächlich morgen dort hin führen soll? In diese Stadt der Game- und Gammel-Touristen, die genau freitagabends einfallen, um einen drauf zu machen. Was soll ich dort mit Leo, einem Fünfjährigen? Bei 45 Grad tagsüber den Strip hinunterlaufen? Leo liebt San Francisco, die kühle und lebendige Weltstadt. Mit einem Besuch im sich immer mehr vom einstigen Glamour verabschiedenden Glutofen Nevadas würde ich meinem Sohn möglicherweise die Lust auf Metropolen nehmen? Never!

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Doch das ist morgen. Was war eigentlich gestern und heute? Grand Canyon. Aber wie! Zwei Tage hautnaher Kontakt mit einem der sieben Weltwunder, wie man vor Ort sagt. Dass dies nur halbwegs stimmt, haben wir heute Abend 200 Meilen entfernt bei Chicken Nuggets und frischem Salat im Schatten von rot und weiß blühendem Oleander vor unserem Mobil erörtert. Denn die sieben ursprünglichen Weltwunder – und das wollte Leo natürlich unbedingt wissen – beziehen sich nur auf die Antike wie die Pyramiden von Gizeh oder den Koloss von Rhodos. Dass es sieben weitere gibt und er eines davon gesehen hat, hat Leo seit heute Morgen abgespeichert. Es ist eines der sieben Naturweltwunder, entstanden vor sechs bis zehn Millionen Jahren durch die gewaltigen Wassermassen des Colorado „und Erdbeben und Vulkanausbrüche“ (Leo).

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So etwas vergisst man wohl nie, wer wie Leo und ich heute Morgen dicht hinter der Frontscheibe eines Hubschraubers sitzend nach einem Flug über endlose Wälder und das karge Colorado Plateau urplötzlich in den tiefsten Abgrund unter uns blickt und eben jenen Fluss als schmales Rinnsal zwischen den hochaufragenden roten und schwarzen steilen Felsen erkennt. Von Urgewalten dieses Wassers spürt der Betrachter aus der Luft nun gar nichts. Aber der Atem stockt. Wir schauen in der Früh ohne den Dunst der Hitze des Tages in schwarze Schluchten, drehen uns auf der Stelle, fliegen direkt auf rot schimmernde gewaltige Erhebungen zu und tauchen wieder ab in den nächsten Einschnitt.

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Es ist schon bewegend, was Pilot Frank da in dieser frühen Morgenstunde mit uns veranstaltet. Die Aufwinde zuckeln am Heli und schütten uns manchmal durch. Doch unser Kleiner ist nervenstärker als ein Großer. Mit Schwimmweste um die Taille (warum eigentlich? Eine dieser überflüssigen US-Sicherheitsvorschriften), Kopfhörer über der Kappe und Mikro vorm Mund, hat sich Leo mit den Hosenträgergurten anschnallen lassen, als sei ihm Hubschrauberfliegen in die Wiege gelegt worden. Der Fünfjährige sitzt in der Mitte, direkt neben dem Piloten. Leo bemerkt: „Papa, der hatte Bananen und ein Schlüsselbund unter seinem Sitz liegen.“ Was man zur Arbeit eben so mitbringt.

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Es fällt schwer, dieses Erlebnis vom Morgen nun am Abend zu beschreiben. Möglicherweise, weil die geistigen Kräfte nachlassen. Eher wahrscheinlich, dass die Eindrücke und Beobachtungen dieses einstündigen Fluges erst viel später formuliert werden können.

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Das ist für kleine Menschen im Alter von Leo nicht so einfach. Das weiß er, warum auch immer? „Ich kann das alles noch nicht so gut behalten!“ Nach ein paar Tagen oder Wochen beschreibt er uns allerdings meistens extrem detailliert Gesehenes und Erlebtes. Um seinen Wissensspeicher weiter aufzufüllen, setzt er auf dieser Reise nun seine Kamera ein. Leo sieht Amerika – auch – über den Bildschirm sein iPhones. Nun passiert, was eigentlich nicht passieren darf: als wir am ersten Tag zu unserer Spätnachmittagstour entlang des südlichen Rim aufbrechen, streikt dieses Wunderwerk der Technik schon beim sechsten Blick in die Schluchten. Was ist passiert? 2034 Fotos! Speicher voll. Was tun? In die iCloud legen geht von Amerika aus nicht bei Leos Billigtarif. Also muss Papa abends löschen; doppelte, dreifache und verwackelte Motive fliegen raus. Mehr als 200 Fotos kille ich. Und am nächsten Morgen? Leo macht etwa zehn Fotos aus dem Heli heraus und schon wieder ist Schluss. Was ist der Junge unglücklich! Und ich kann ihm nicht helfen. Er ist unglaublich tapfer – und darf dann mit meinem Gerät einige Bilder machen. Als wir am Airport landen und den roten Hubschrauber verlassen, ist Leo aber wieder Strahlemann. Da weiß ich, dass es gut war. Sehr gut sogar.

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Die Region des Grand Canyon ist gut für Begegnungen mit Landsleuten. Das ist bisher nicht so oft vorgekommen. Und: Wir sind ohne bisher prima zu recht gekommen. Diesen Eindruck haben wir auch nach der Begegnung mit einem Berliner Paar und seinen zwei Kindern Johann (5) und Christina (10); letztere wurde extra für die Reise vom Schulunterricht befreit. So etwas geht nur im Öffentlichen Dienst. Drei Monate sind sie unterwegs, jetzt fünf Wochen mit dem Camper, dann vier Wochen Hawaii „und dann noch vier Wochen San Francisco, da haben wir ein Haus, mein Mann forscht dort“. Der Herr Mathematik-Professor aus Berlin schaut sich also mal um, was sich die Intelligenz der Welt so einfallen lässt. Großartige Idee. Ein Familienseminar oder ein soziales Jahr täte dieser abgehobenen Berliner Fratze mal ganz gut: Seine Frau jammert zur gleichen Zeit in der Laundry, dass sie alles waschen müsse „und die anderen sitzen am Pool“. Dort sitzt er auch. Mit dem Blackberry in der Hand, die Kinder machen allein im Wasser. Leo spürt so etwas. So sehr er sich mal einen Spielkameraden gewünscht hat, der deutsch spricht, von dieser Truppe hält er sich fern.

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Und macht sein eigenes Ding. Feuer machen. Das habe ich ihm auch versprochen. Nach unserem ersten Tag im Canyon holen wir aus dem sehr üppig bemessenem Kofferraum die Restbestände von Firewood, die wir seit San Simeon durch die Staaten kutschieren. „Feuer machen“ ist bei Leo und damit auch bei mir angesagt. Nicht Grillen. Das haben wir einmal und bisher nie wieder getan. 600 Gramm des zarten Roastbeefs liegen noch immer gefroren im Tiefkühlfach. Da bleibt es sicherlich auch unangetastet bis zur Rückgabe dieses Vehikels. Leo will nur kokeln. Mit Leidenschaft. Es gibt wieder diese runden Eisenringe auf dem Campground am Canyon und Leo erleuchtet die Nachbarschaft. Vater kocht derweil, spült später ab. Und ist glücklich, dass der Junge glücklich ist.

Nun haben wir noch eine Woche „in Amerika“, wie Leo sagt, und sind sicher, ein zweites Mal ein weiteres Weltwunder – der Architektur – zu sehen. Vom Fuß der Golden Gate Bridge hinauf zu den roten Pylonen wollen wir schauen. Und staunen. In europäischer Sommerfrische. Leo denkt pragmatisch nach diesem Tag am Grand Canyon. „Papa, in San Francisco gibt es keine Hubschrauber“, stellt er sehr bestimmt und nicht fragend beim Gute-Nacht-Kuss fest. „Doooch“ antworte ich. „Aber wir brauchen keinen.“ Auch ohne erneuten Einsatz dieses Fluggerätes hat Leo auf der Reise zwei auf den wissenschaftlichen Listen stehende Weltwunder gesehen. Und hautnah erlebt.

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„Das Navi führt uns – du fährst“

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Was treibt ein Junge von fünf Jahren am Abend bevor es in den Grand Canyon geht? Richtig! Kaninchen aufspüren. Und zwar nicht, weil unser Lebensmittelvorrat ausgegangen wäre und wir nun auf Lapin au Citron umsteigen müssten. Nein: weil der Fünfjährige sich auslaufen muss, Bewegung braucht. Und mit dem am Rand des grandiosen Nationalparks gelegenen Campground ein Terrain vorfindet, auf dem er erst einmal sammeln und jagen kann. Hölzer, Steine, Kaninchen.

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Was man so tut, wenn man(nlein) zwei Tage lang fast ausschließlich auf dem Beifahrersitz eines mit der behutsamen Geschwindigkeit von 45 bis 65 Meilen sich vorwärts bewegendem rollenden Wohnhauses sitzt. Um es vorweg zu nehmen: Dieser kleine Fünfjährige mit der täglich wachsenden Nähe zum Sechsjährigen hat sich nicht nur glänzend gehalten, sondern ist ein fantastischer und aufmerksamer Mitfahrer. Autofahren strengt ihn offensichtlich nicht an. Er ist hellwach und immer dabei. Das hat er im vergangenen Sommer auf dem Weg nach Dänemark (7 Stunden) schon bewiesen, die Reisen zu Oma und Opa (5,5 Stunden) steckt er so weg, Frankfurt und die holländische Nordseeküste sind für Leo ein Klacks.

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Warum dann nicht mal an zwei Tagen die Wüstenzonen von Südkalifornien und Arizona durchkreuzen? Sind ja nur 900 Kilometer! Eine Zwischenübernachtung mitten in der Wüste, 38 Grad abends um 18 Uhr, dafür aber ein wunderbarer Pool. Was soll´s. Des Nachts brummt die Aircon im Mobilhome und kühlt. Am nächsten Morgen geht´s weiter. Er ist hellwach und immer dabei. Auch wenn er sich auf der Fahrt ein Hörbuch von Erich Kästner reinzieht – Leo entgeht nichts. Sprachliche Ungenauigkeiten schon gar nicht, die sich an einem solchem Tag schon mal einschleichen können. Als wir auf der ersten Etappe nach einem wirklich heißen Wüstentrip durch karge Fels- und sandige Dünenlandschaften auf die wundervolle grüne Oase Verde Palo treffen und hin und her durch die üppig bewachsenen Felder geleitet werden, stelle ich eine Frage in den begrenzten Raum der Fahrerkabine: „Wo uns das Navi wohl hinfährt?“ Die Antwort erhalte ich flugs vom Nachbarn: „Nein, das Navi fährt uns nicht, du fährst! Das Navi zeigt uns den Weg.“ Okay Kleiner, hast ja recht. Soll nicht wieder vorkommen. Leo ist unverwüstlich!

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Hört Kästner und fotografiert. Plötzlich kann er das, was Männer und Heranwachsende dieser Spezies eigentlich nicht können: zwei Dinge gleichzeitig erledigen. Leo hat irgendwie im Laufe der Fahrt rausgekriegt, dass er sein Hörspiel gar nicht mehr stoppen muss, wenn er fotografieren will. Also lässt er den Kopfhörer drauf, hört und lichtet ab, was ihm gefällt. Und er entdeckt viel. Das Fotografieren macht ihm solch eine Freude. Sein waches Auge hilft ihm dabei, Dinge zu entdecken, die ich noch gar nicht gesehen habe. Blitzschnell. Dass er jetzt schon mehr als 1000 mal Klick gemacht hat und die Fotos alle zum Anschauen gespeichert sind, macht ihn zusätzlich stolz. Leos erstes Fotoalbum: die Amerika-Reise. Und dann die Wettbewerbsfrage, wie sie nur unter Männern typisch ist: „Papa, habe ich schon mehr Fotos gemacht als du in deinem ganzen Leben?“

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Nun ja, er hat in den letzten zwei Tagen auch den Eindruck gewinnen können, dass er mich um Längen überholt. Ich umklammere das Lenkrad, er hält sein kleines iPhone aus dem Fenster und drückt ab. Doch wir stoppen zwischendurch natürlich auch mal. Einiges möchte ich länger betrachten. Zumal diese Transferfahrt von der Pazifikküste an den Grand Canyon wirklich das abwechslungsreichste und menschenleerste ausgedörrte Stück Erde ist, das ich auf meinen bisherigen Weltreisen gesehen habe. Weder in Afrika noch in Indien gibt es diese aufeinanderfolgenden und sich abwechselnden Bodenformationen aus Felsen, Sand, ausgetrockneter Erde und überraschender Vegetation durch ein riesiges Wasserloch. Dann, völlig überraschend, begleitet uns auf der rechten Seite über bestimmt 15 Meilen der riesige, mindestens drei Meter hohe Metallzaun zur Grenze nach Mexiko; ergänzt durch eine Kontrolle der amerikanischen Grenzbeamten mitten in der Wüste. Nein, wir sind keine illegalen Einwanderer aus Mexiko. „Sir, good afternoon“, heißt es knapp und kurz nach einem Blick in unser Transportmittel. Und schon erfreuen sich unsere staunenden Blicke an diesen wundervollen Kakteen auf dem Weg durch früheres Indianerland in Arizona – einfach einmalig. Was erwartet uns erst bei unserer Fahrt durch das Death Valley in wenigen Tagen?

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Nun sind wir erst einmal am östlichsten Punkt unserer Reise angelangt, der achten Station. 1100 Meilen sind wir gefahren, das sind ziemlich genau 2000 Kilometer. 1500 kommen Richtung Westen wohl hinzu, bevor wir dann einen ganzen Tag durch das geliebte San Francisco schlendern dürfen „und noch einmal Cable Car fahren“ (Leo).

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Dass uns auf dem Weg zurück manchmal minutenlang kein anderes Fahrzeug entgegenkommt oder überholt – die Amerikaner schätzen die Drohung der Polizei unsere Geschwindigkeit auf den schnurrgeraden, ins Unendliche führenden Straßen per Flugzeug zu messen, offenbar sehr gering ein – wird uns wohl dabei nicht mehr passierern. Leo wird sehen und fotografieren. Wie sein kleines Kaninchen gestern Abend. An das er sich wie Yakari ganz behutsam anschleicht. „Papa, ich habe es fast streicheln können.“ Und dann zeigt er mir seine neuesten Tierfotos.

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Good bye California, wir kommen wieder!

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Für Amerikaner endet das Wochenende schon am Sonntagmorgen nach dem FRÜHstück. Ab 7 Uhr wird zusammengepackt. Rund um unser Minimobil von 22 Fuß Länge wird geklappert und geplappert. Hast du dies, hast du das? Denk an dies, denk an das! Oder so ähnlich. Wir kennen das inzwischen. Es ist unser zweiter Sonntag, den wir spätestens ab elf ziemlich alleingelassen in einem RV-Park verbringen. Leo und ich entscheiden – noch unter der Bettdecke liegend – hierzubleiben und die Ruhe zu genießen.

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Der Plan war ein anderer. Aufbruch in die Wüste. In den Nationalpark Joshua Tree. In Nachbarschaft zur Enklave Palm Springs, dem weltgrößten Seniorenheim glattgezogener Gesichtshäute, wollten wir uns erstmals der staubtrocknen, heißen Luft und steinigen Felslandschaften aussetzen. Das lassen wir nun und genießen den Abschied vom Pazifik. Bei prächtigem Sonnenschein (ab mittags). Wie herrlich: wir haben die Fußballwiese direkt am Strand für uns, der Pool steht uns anschließend nahezu allein zur Verfügung. Leo trägt zur Abwechslung den gesamten Tag über knallrote Düsseldorf-Kluft. Und als auch noch die Feuerwehr mit Tanklöschzug – warum auch immer? – anrückt, holt er sofort seine kleine Handy-Kamera.

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Leo lichtet alles ab, was ihm interessant erscheint. Er will unbedingt den Sonnenuntergang über dem Meer und den gewaltigen Schiffshebekran vor der naheliegenden Werft ablichten. So etwas ist ihm wichtig. Und natürlich unsere neuen Nachbarn, die am Abend mit dem größten Pickup aller Zeiten und einem Wohnanhänger in Möbeltransporterdimension anrücken. Die dazugehörenden Menschen dieses eigentümlichen Gefährts sehen aus, als seien sie aus Palm Springs geflüchtet. Er so greis, dass er nicht mehr ins Lenkrad greifen kann und wohl auch nicht darf. Und the old Lady hielt das Lenkrad bisher wohl ausschließlich zum Geradeausfahren in Händen. Leo ist amüsiert und fotografiert. Nach 40 Minuten ist das Rangiermanöver geschafft. Ein Nachbar hat sich schließlich ans Steuer gesetzt und das Ungetüm auf die Parzelle bugsiert.

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Leo und ich gehen an den Strand. Wir verabschieden uns vom Meer bei Sonnenuntergang. Morgen geht es weiter. Nach Arizona. Wir sagen vorerst good bye California mit ein paar Fotos des Tages.

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Auf nach Hollywood! „Oooh, my God!“

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Die Old Ladies sind Respektspersonen in Amerika. Sie haben was zu sagen, man hört auf sie. Sie sind einfach geachtet. Im Großen wie im Kleinen. In New York, Washington oder San Diego. Ob Madeleine, Condolica oder Hillary, ob Ophrey, Ariane oder eben – nennen wir sie einfach Betty. Betty sitzt uns gegenüber in der Trolley von San Diego Downtown in Richtung Tijuana, der Grenzstadt von Mexiko. Wir fahren nach einem intensiven Besuch des wohl schönsten, auf jeden Fall aber berühmtesten Zoos der Welt zurück zu unserer Marina mit angeschlossenem RV Park. Betty trägt weiße Hose und rote Bluse, das für Amerikanerinnen übliche Schmuckgedöns legt sich in langen Ketten über ihre Brust. Die blondierte Dauerwelle wirkt frischgemscht.

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Betty beobachtet uns interessiert. Wir sind kaputt von der Hitze beim Zoo-Rundgang, wollen unsere Ruhe. Bloß nicht sprechen. Da schießt es aus ihr raus. Wir sähen uns so ähnlich, Vater und Sohn. Wir hätten so ausdrucksstarke Gesichter. Ich übersetze für Leo. Der schmunzelt amüsiert. Doch dann geht es weiter: „You are good for Hollywood, Hollywood search such people like you.“ Jetzt ist aber gut. Wir sind peinlich berührt, schütteln den Kopf. „That´s nice. Thank you!“ Was will die Frau von uns? Ich sage Leo: „Wir sollen zum Film!“ Er lacht. Betty trägt ihre Sätze in der üblichen amerikanischen Lautstärke vor, so dass alle anderen Mitreisenden auch etwas davon haben. Was tun? Wir schweigen. Leo schließt die Augen. Und schläft ein. Vor Erschöpfung. Ich schaue aus dem Fenster bis zu unserer Station H-Street.

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Die von uns so genannte Betty liegt also hinter uns. Wie viele andere Begegnungen. Beispielsweise vor dem Gehege mit den Schneeleoparden. Die sind alles andere als gewillt hin und her zu tigern, sondern liegen schläfrig in der Ecke. Wie übrigens nahezu alle Raubkatzen. Besonders die indischen Königstiger und das afrikanische Löwenpärchen. Leo schnallt schnell, dass es bei den weißen Leoparden nichts Neues zu entdecken gibt und knurrt: „Kennen wir doch schon!“ Da brechen neben und hinter uns plötzlich wahre Begeisterungsstürme über uns herein. „Oh my god, oooooh my god, my god“, schreit es aus zwei rot geschminkten Mündern heraus. Was nur versetzt diese beiden Old Ladies in unserer direkten Nähe in solche Ekstase, das sie mit Inbrunst nach dem Herrn rufen? Was ist ihnen widerfahren? Ich drehe mich um, um vielleicht Aufklärung zu bekommen. Und? Die feinen Damen starren völlig verzückt auf dieses müde, bewegungslose Raubtier hinter dem Maschendrahtzaun. Die glänzenden Augen spiegeln ihre nicht fassbare Begeisterung wider. Soll man nun darüber lachen? Oder staunen? Wissen die Old Ladies gar, dass der Schneeleopard die am meisten bedrohte Großkatze der Welt ist? Deshalb gar ihre Verzückung, dieses Tier zu sehen? Das wäre großartig – und erklärte den Gefühlsausbruch. Leo drängt, „weiter Papa“.

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Ein Generationenthema? Oder ein Wissensthema? Leo kennt sich mit Schneeleoparden aus. Seit drei Jahren sind wir regelmäßige Zoo-Besucher, hatten sogar schon eine Jahreskarte in unserem Heimatgehege in Krefeld. Wo es selbstverständlich Schneeleoparden gibt. Auch Elefanten, Nashörner, Krokodile, Tiger, Gorillas und Orang Utangs sind dort zu sehen. Giraffen hatten wir gerade in Santa Barbara, ausgewachsene Flusspferde und Braunbären in Grzimeks Zoo in Frankfurt am Main. Was Leo noch fehlt, sind afrikanische Elefanten, die mit den großen Ohren, Eisbären – oder besser Polarbären – und Pandas. Das kann San Diego bieten. Aber nicht heute: Zu den Pandas kommt nur, wer sich – mal wieder – mindestens 45 Minuten in einer endlosen Menschenschlange anstellt. Der Sohn bestimmt: „Nein, heute nicht!“ Die weißen Bären sind auch nicht zu sehen, Anlage wegen Umbauarbeiten geschlossen. Dann eben nicht.

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Alles vergebens also? 12.500 Schritte gelaufen. Keinen Rundfahrtbus genommen, dann wäre man in einer Stunde durch. Obwohl die freundliche ältere Dame am Buscounter amüsiert schmunzelt, als sie uns die verschiedenen Touren im Doppeldecker erläutert, und wir entscheiden, uns zu Fuß auf den Weg zu machen. Wir hätten auch die Seilbahn nehmen können, um von oben auf die wirklich großen Elefanten- und Gorilla-Anlagen zu blicken. Ist alles im Preis drin. Wir bleiben beim klassischen Rundgang und schauen den Tieren lieber direkt ins Gesicht. Das lohnt sich. Die nachgebauten Landschaften – besonders im afrikanischen Bereich – kommen den originalen Gegebenheiten sehr nahe. Einzigartig in der Welt ist wohl das große Elefantengelände. Und wer Backstage – ja so heißt das – den Tierpflegern über die Schulter schauen möchte und den Exponaten direkt auf den Pelz rücken will, kann das in San Diego auch. Er/Sie darf für dieses Extra noch einmal mehr als doppelt so viel des ohnehin schon üppigen Eintrittspreises berappen. Das Interesse ist groß. Es gibt – wie nicht anders zu erwarten – lange Warteschlangen an den Hintereingängen. Nichts für Leo und mich, wir machen weiter unsere übliche Zoo-Tour. Ziemlich routiniert. Neu ist nur, dass der kleine Tierforscher zum ersten Mal fotografiert.

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Als wir zurück sind, können es unsere zweifach motorisierten Nachbarn Jeanne und Mike, der Vater ist inzwischen mit seinem schneeweißen 5er BMW touring angereist, nicht glauben. Zu Fuß, mit Straßenbahn und Bus seid ihr gefahren? „Great!“ Wenn Amis bei einer solchen Gelegenheit „great“ sagen, meinen sie wohl eher verrückt. Die drei hätten sicherlich eines ihrer beiden Fahrzeuge in Gang gesetzt. Und doch: Fünf Minuten später muss sich ihr Sohn Paul bewegen. Rauf aufs Fahrrad. Ängstlich und mehrfach von  kreischenden Weinanfällen unterbrochen dreht er seine ersten Runden – mit Stützrädern. Leo zieht sich derweil sein Fortuna-Trikot an und kickt. Er fährt schon seit zweieinhalb Jahren richtig Fahrrad. Aber Paul ist ja auch drei Tage jünger als Leo. Kein Generationenthema.

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Kurze Hosen – jetzt auch für uns

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Beginnen wir heute mit Francis. Francis flaniert nun schon zum dritten Mal an unserer Einstellbucht 36 auf der Sea Breeze vorbei. Zum Abend hat er sich besonders schick gemacht. Wir kommen gerade vom Fußball zurück. Das Spielfeld liegt direkt an der Strandpromenade hinter dem Zaun unseres luxuriösen Quartiers Chula Vista RV Resorts. Leo hält in der linken Hand einen grünen Zweig von einem Baum, der eine Olive sein könnte, es aber nicht ist. „Mein Pokal“, sagt er, und denkt dabei bestimmt an Cäsar und den Lorbeerkranz. So ähnlich sieht das Blattwerk auch aus. Unter dem anderen Arm hält er den schwarz-weißen Lederball. Kurze blaue Hose bis zu den Knien, T-Shirt locker darüber, eine etwas weite offene Jacke. Kappe mit Schirm im Nacken. So sehen die coolen Jungs hier aus. Leo ist irgendwie einer von ihnen. Optisch zumindest. Das zeichnete sich ja schon am ersten Tag in San Francisco ab.

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Heute ist Halbzeit. Wir haben noch zwei Wochen in diesem Land vor uns. Und Leo nimmt jede Möglichkeit wahr, mit anderen Kindern in Kontakt zu kommen. Es ist ganz lustig. Er will mit ihnen englisch sprechen und fragt dann immer kurz nach, was wie heißt: „Spielst du mit Fußball“? „Ich komme aus Deutschland“! „My name ist Leo“ wendet er zu jeder sich bietenden Gelegenheit an. Heute gesellt sich ein Junge aus der Wohnmobil-Nachbarschaft dazu, der ebenfalls fünf Jahre alt ist, drei Tage später als Leo sechs wird und dessen Mutter „Gien“ heißt, was mich zunächst an den Namen von Leos Mutter erinnert, bevor mir klar ist, dass die Dame sich Jeanne schreibt. Mit dem kleinen Paul klappt die Spielerei allerdings nicht so gut. Ein weinerliches Weichei mit starkem Mama-Bezug. Nix für Leo.

Also gehen wir beide kicken. Leo, der sich immer öfter Thomas Müller nennt, gewinnt – na klar – das Match mit 12:9. Keine Schmach für mich. Sondern ein Grund, ihn noch einmal in Siegerpose abzulichten. Genau zu diesem Zeitpunkt treffen wir Francis. Vor unserem Minimobil. Wir sind auf diesem Gelände die absolut Kleinsten mit unserem Haus auf vier Rädern, obwohl mit zwei Schlafzimmern, einem Badezimmer, einer Küche, einem Wohnzimmer und einer Terrasse ausgestattet. Lächerlich. Noch gab´s keine Einladung, diese Einfamilienhäuser in Busfahrt zu besichtigen. Auf jeder Parzelle steht so ein Monstrum, die Amerikaner sind mit nichts anderem mehr unterwegs. Ich frage mich nur: Wer will so etwas auf den Straßen bewegen? Nicht nur das: In jedem Fall steht der Pickup oder SUV auch noch quer davor. Wie will man sich denn sonst in der Umgebung bewegen? In öffentliche Verkehrsmittel begibt sich diese Klientel wohl kaum. Wir schon!

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Zurück zu Francis. Ein dritter Anlauf. Da ich ihn nicht fotografiert habe, muss ich ihn einfach beschreiben. Stattlich. Ein Man(n) einfach. Auf seinem Kopf thront ein breitkrempiger Lederhut, helle raue Tierhaut, edel gegerbt und in Form gebracht. So ein Teil jetzt einfach Cowboyhut zu nennen, wäre eine Beleidigung. Für Francis. Und die Kopfbedeckung. Das graue Bärtchen schmiegt sich kunstvoll ans Kinn, umschließt Lippen und zwirbelt sich künstlerisch unter der Nase Richtung Wangenknochen. Francis ist ein Edelmann. Schwarzes Hemd über rundem Gewölbe in der Körpermitte, helle Hose. Ich wage nicht von Shorts zu sprechen. Diese Beinkleider, knieumspielt, sind die feinste Art von Stoff an struppigen Beinen, die wir in diesen zwei Wochen gesehen haben. Und das waren schon Tausende. Denn, und das ist eine weitere Betrachtung, die noch folgen wird, die Kurzhose ist einfach Pflicht. In diesem Land.

Francis also. Mit dem an der Leine zerrenden weißgrauen Knuddel kleinster Ausprägung wollen wir uns gar nicht aufhalten. Der gehört einfach dazu. In Chusa Vista vor den Türen von San Diego trägt jeder Hund. Unser Man hat sofort gecheckt, dass wir aus Deutschland kommen. Ist ja nicht zu überhören. Sein Sohn spreche fließend deutsch, erfahren wir als erstes. Der habe sieben Jahre in München gelebt und sei nun seit zehn Jahren in Frankfurt. Bei der Company Bahn. Der Arme. Wegen beidem. Aber Francis liebt Deutschland, leider ist er zu selten dort, sieht seinen Sohn kaum. Als der noch in München war, da war Francis auf dem Oktoberfest. Was hat er mitgebracht in die äußersten Südspitze Kaliforniens? Das Opus „Life is life, lalalala!“ Daran erinnert man sich in der Welt, wenn es um Deutschland geht. Schrecklich. „A good song“, sagt Francis, und gibt eine stimmliche Kostprobe. „I never heard before“, sagt er. Warum auch?

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Leo dauert die Unterhaltung mit dem Amerikaner zu lange. Obwohl wir schon mehrfach darüber gesprochen haben, dass er mich bitte nicht stören soll, wenn ich mit den Amis rede, weil ich mich da sehr konzentrieren muss, geht er jedes Mal dazwischen. Auch jetzt. Quengelt mit irgendwas an mir rum. Er weiß, dass er mich damit extrem nervt und stört. Und macht es trotzdem. Oder gerade deshalb. Leo will mich absolut und total für sich. Eine Erfahrung, die ich auf dieser Reise mache. Er gibt immer Vollgas. Den ganzen Tag. Von morgens bis abends. Bewegung muss sein, Papa muss sein. Pause für mich gibt es nur am Laptop nach dem Zubettgehen des jungen Mannes und eben danach auf der Matratze. Wenn ich auch nur zwischendurch mal einen Gedanken zu Ende denken möchte, der nichts mit unserem täglichen Ablauf zu tun hat, lässt er das garantiert nicht zu.

Dabei sind wir ein gutes Team. Leo macht mit, übernimmt Aufgaben. Fühlt sich für Dinge verantwortlich, lässt aber auch schon mal seine Klamotten einfach auf dem Boden liegen und geht lässig darüber hinweg, wenn ich damit nicht einverstanden bin. Dafür gibt´s von ihm reichlich Lob, wenn die Speisefolge gestimmt hat. Natürlich frage ich jeden Tag mit Vorschlag, was er denn bevorzugt? Aber die Umsetzung in unserer Miniküche sagt ihm schon zu. Wie heute Abend, als es gemischtes Möhren-Brokkoli-Gemüse mit Käserührei gab. Natürlich mit Nachschlag. „Das möchte ich gern noch einmal essen.“ Wird gemacht, Kleiner!

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Die meiste Zeit haben wir Spaß. Viel Spaß. Leo ist im Moment vom Sport besessen. Er spricht nur davon, sich bewegen zu müssen. „Ist Tauchen Sport“, ist eine der Fragen? „Ich muss trainieren für meine Muskeln.“ Im Pool taucht er völlig ab – mit Rolle unter Wasser und dreimal drehen. Und Arschbombe hat er geübt. Anlauf nehmen, Knie anziehen. Platscht! Dann Kicken, Laufen. Und so weiter. Gestern gab´s Zirkeltraining an der Seafront. Er nutzt einfach jede Gelegenheit. „Ich muss trainieren“ – und macht mal auf der Stelle zehn Liegestützen.

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Okay. Morgen kann er Laufen ohne Ende. Dann geht es in den berühmtesten Zoo der Welt. Natürlich sind wir dann in kurzen Hosen unterwegs. Seit drei Tagen haben wir die Kleider gewechselt. Ab fünf am Nachmittag kommt der Kapuzenpulli oben drüber, aber unten bleibt´s kurz. Zwei Wochen lang haben wir uns amüsiert und unsere dekadente Düsseldorfer Langhosen-Mentalität auch nach Kalifornien transportiert. Jetzt ist es egal. Ist ja auch wärmer. Und wird immer wärmer, es geht langsam in Richtung Wüstenstaat und Grand Canyon. Las Vegas meldet 43 Grad. Aber dass man bei 14 Grad am Morgen oder 17 Grad am Nachmittag in Kurzhosen durch San Francisco laufen muss, als wir die gesteppten Westen über den Sweater geworfen haben, hat uns doch erstaunt. Die Amis müssen noch irgendwas von ihren britischen und irischen Urahnen im Blut führen. Jetzt haben auch wir umgeschaltet, um dem Weißbein noch etwas Farbe zu gönnen. Außerdem kommt diese Bekleidungsform dem Bewegungsdrang des Sohnes sehr entgegen.

Wobei wir wieder beim Sport sind. Vor nunmehr eineinhalb Stunden kam die breaking news, dass Muhammad Ali gestorben ist, den ich noch unter dem Namen Cassius Clay habe Boxen gesehen. Eine Sportlegende. Ein Mann, für den ich als Schulkind nachts aufstehen durfte, wenn er gegen Smok´in Joe Frazier oder Goerge Foreman seine großen Kämpfe ablieferte. Und das deutsche Fernsehen übertrug. Doch am eindrucksvollsten war für mich, als dieser große Sportsmann 1996 von Parkinson gezeichnet mit zittriger Hand die Olympische Flamme in Atlanta entzünden durfte. Für große Gesten sind die Amerikaner geschaffen. Er war der Größte.

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Vielleicht werde ich Leo morgen früh von Muhammad Ali erzählen. Er will ja immer alles wissen aus dieser Welt. Und er weiß ja auch viel. So wie heute. Da saßen wir am Ufer des Pazifik und schauten rüber nach San Diego, auf die Skyline dieser wunderbaren Stadt. Leo sagt: „Hier ist es so schön, hier möchte ich bleiben.“ Was zweifellos stimmt, dass es hier schön ist. Auf meine Entgegnung, dass wir beiden uns sicherlich auch total wohlfühlen, wenn wir wieder in Düsseldorf sind, bekomme ich dann kurz und trocken, wie eine linke Gerade von Ali, entgegengeschleudert: „Ich bin ja ein Düsseldorfer Jong. Und du nicht!“ Was wiederum stimmt. Leo ist dort geboren. Ich liebe und diese Stadt seit 1977.

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Wenigstens einmal richtig Auto gefahren

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An Tagen wie diesen ist es nicht ungewöhnlich über Donald zu sprechen. Der Eine, Trump mit Folgenamen, will mit Amerika hoch hinaus. Als Präsident natürlich. Wolkenkratzer hat er genug gebaut. Die Welt fürchtet nichts mehr als dieses, wenn es im November zur Wahl kommt. Außer Kim Jong-un. Der Nordkoreaner und der Republikaner tauschen gerade Nettigkeiten aus. Wahrscheinlich haben sie auch den gleichen Friseur. Der Andere, Duck mit Familiennamen, sorgt dafür, dass ein gewisser Walt Disney (beziehungsweise seine Nachkommen) seit über 80 Jahren mit Enten- und Phantasiegeschichten Milliarden verdienen. Unglücksvögel sind beide. Trump und Duck. Dem Lustigeren von beiden wollen Leo und ich heute einen Besuch abstatten.

Wie das so ist, gesellt sich just in diesem Moment noch ein Dritter dieser Gattung hinzu. Rabe mit Nachnamen. Karl Unglücksrabe, auch ein Vogel. Kein Tag ohne kleines Malheur. Das ist ja schon klar. Aber gleich zum Frühstück. Muss das sein? Leo sitzt schon am Tisch als der Rauchmelder losgeht. Höllenalarm im Wohnmobil. Was ist nur passiert? Leo: „Da Qualm“, und zeigt zum Herd. Dort kocht doch nur mein Teewasser. Flamme aus, Topf an die Seite geschoben. Und das ganze Elend wird sichtbar. Ich hatte doch schon seit einer Woche befürchtet, dass so was passiert. Jetzt ist es soweit. Das Aufladekabel des MacBooks ist angekokelt. Dabei hatte ich es so genial hinter dem Herd, gestützt von einem umgestülpten Joghurtbecher – natürlich ausgewaschen – und einem Paket deutscher Tempotaschentücher, in den Wackeladapter geführt. Nirgendwo anders in diesem Mobil hielt der (deutsche) Adapter seine Krallen in einer dieser amerikanischen Steckdosen.

Viel wichtiger ist jetzt aber: Wie kriege ich nur diesen schrillen Ton abgestellt? „Da auf den Knopf drücken, hat er uns doch gezeigt“, belehrt mich mein Fünfjähriger. Gut, dass Leo bei der Einweisung in dieses rollende Haus dabei war. Der Alarm ist aus.

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Na gut, dann war es das eben mit diesem Blog, denke ich mir. Kann ich abends ja auch mal ein gutes Buch lesen, hab´ ja welche dabei. Beispielsweise das meines alten Bielefelder Kollegen Helge Timmerberg, der seine journalistischen Erinnerungen gerade in dem Bestseller „Die rote Olivetti“ aufgeschrieben hat. Der braucht kein Kabel, der haut richtig auf die Tasten. Manchmal hängt er dafür feuchte Bettwäsche neben dem Schreibtisch auf und dreht die Heizung auf volle Pulle, um subtropisches Klima in seiner Hütte zu erzeugen. Dann denkt er, er sei in Indien. Und kann ohne Blockade schreiben.

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Wir sind in Kalifornien und haben Disneyland vor der Tür. Schreiben findet auch weiterhin statt. Diese Apple-Leute bauen einfach geniale Dinger. Nicht einmal eine offene Gasflamme kann eines ihrer Kabel vollständig zerstören. Ein Test zeigt, der Strom fließt. Wir ziehen zum Disney-Shuttle. Die Details über den Fahrkartenautomaten am Busstand erspare ich allen – vor allem Leo, der dieses hier ja mal lesen wird. Nur so viel: Ich weiß, warum ich in Düsseldorf nicht Rheinbahn fahre, und die große Bahn nutze ich auch nur, wenn mein Büro die Tickets zuvor besorgt hat. Wo und wie auch immer.

Wir fahren durch Anaheim und sehen eine gefegte, blumenblühende Stadt mit gepflegten Fassaden an Läden und Hotels. Ungewöhnlich, wo doch in amerikanischen Innenstädten gerade die Bausubstanz immer mehr verrottet. Disney macht´s möglich. Wie die Stadt so der Park. Geleckt. Doch wohin? California Park mit Cars & Co? Disney Downtown? Oder klassisch Disneyland? Wir nehmen zunächst das Dritte. Gut, dass wir das teurere Flexiticket genommen haben, so können wir von Park zu Park wechseln. Denke ich jetzt noch.

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Der erste Eindruck. Enttäuschung. Was ist das denn? Eine Ladenstraße. Shops ohne Ende, Fressstände, die wir nach üppigem Frühstück gar nicht beachten. Und die Straße voller Menschen, die wir in ihren Ausmaßen bereits ausgiebig beschrieben haben. Dafür haben sie sich Mäuseohren aufgesetzt und schnattern aufgeregt in Entenhausen. Leo weiß auch nicht so recht, was er denn hier eigentlich soll? Hat dann aber schnell ein Cable Car entdeckt, das von einem Pferd gezogen wird. Berechtigte Frage: „Warum mit Pferd?“ Weil es eben alles Phantasie ist und richtig nur in San Francisco fährt. Dann interessiert ihn was anderes: Wir gehen in ein im Westernstil nachgebautes Haus, vor dessem Eingang groß Lincoln geschrieben steht. Innen sehen wir den Bau der amerikanischen Eisenbahn, zu Zeiten des berühmten amerikanischen Präsidenten. Historisches, das ist was für Leo. Ihn interessiert einfach, wie alles in der Welt entstanden ist. Hoffentlich bleibt dieser neue Donald weg. Man möchte sich gar nicht ausmalen, was der als Präsident hinterlässt.

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Aber wo ist eigentlich der Richtige? Um es vorweg zu nehmen. Leo und ich haben ihn nicht gesehen. Fünf Stunden im Park, fast eineinhalb Stunden in Schlangen angestanden; und was haben wir gesehen? Donald Duck jedenfalls nicht. Star Wars! Auch nicht wirklich. Ein Beispiel gefällig: Wer um 12 Uhr am Extra-Automaten ein Fast Ticket ordert, um in eine der hinter dicken Betonmauern aufgebauten Welten der Bösen hineinzuschlüpfen, der darf um 18 Uhr wiederkommen. Sechs Stunden Wartezeit. Und bis dahin? Rumlaufen, Einkaufen, Essen und Trinken zu horrenden Preisen. Ein geniales Konzept, um Dollars einzusacken.

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Dem Durchschnittsamerikaner – und kein anderer kann sich das hier leisten – ist das egal. Er verbringt sogar eine ganze Urlaubswoche (oder mehr) in Anaheim und geht jeden Tag auf dieses angebliche Spaßgelände. So stört es ihn wohl auch nicht, Stunden anzustehen, um eine der Attraktionen auch wirklich zu nutzen. Die Amerikaner sind absolut gelassen und tun so, als müsse das so sein. Manch einer von uns erinnert sich bei solchen Betrachtungen sicherlich an die Zeit in einem Teil von Deutschland vor 1989.

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Leo und ich machen das Beste draus. Ich zeige ihm, wie er mit seinem iPhone nicht nur Hörspiele verfolgen, sondern auch fotografieren kann. Das macht ihm den größten Spaß. Er lichtet alles ab. Mit sehr guten Ergebnissen, wie wir abends feststellen. Und: Der Junge fährt zum ersten Mal in seinem Leben am Steuer eines motorgetriebenen Autos. Das war schon klasse. Wir sind in den Flying Elephant gestiegen, ein Karussell, das in recht beschaulichem Tempo in luftiger Höhe seine Runden dreht. Später gesteht mir Leo: „Ich hatte doch ein wenig Angst. Vorher. Als es los ging nicht mehr!“

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Leo albert mit Pluto für ein Foto herum, kriecht in Mickeytown ins Hundehaus und spielt Klavier, schleicht durch gruselige Gespensterschlösser, hört begeistert einer Musikkapelle zu und kauft bei Star Wars ein. Ein Laserschwert und ein paar Figuren. In die Veranstaltungshallen hätte er ohnehin nicht reingekonnt. Warnschilder weisen schon am Eingang daraufhin, dass Kinder unter zwölf Jahren wegen der Lautstärke und der Aktion Angst bekommen könnten. Aber warum sagen sie das nicht vorher. Bevor mindestens 100 Dollar für ein Ticket fällig sind. Für den Erfinder von Donald Duck. Oder seine Erben. Die anderen beiden Abteilungen ersparen wir uns und fahren weiter in den Süden, nach San Diego.

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